Wie sich eine Nation ihr Denken einredet und daraus Politik macht

Elisabeth Wehling über die geschickte Wahl von Begriffen in der Politik, die das Denken und Handeln beeinflusst
Bildung, Kultur und Medien
Europa und Internationales
Innen- und Kommunalpolitik
Donnerstag,
17
.9.
2015
 
Wien
BSA Döbling

Am 17.9.2015 fand ein etwas anderes Kamingespräch des BSA-Döbling mit Dr.in Elisabeth Wehling als inhaltlicher Auftakt nach einem extrem heißen Sommer und der damit verbundenen politischen Sommerpause in einen heißen politischen Herbst statt, ein Gespräch per Videokonferenz mit der aus Hamburg stammenden und nunmehr an der University of California forschenden Soziologin, Kommunikationspsychologin und Linguistin, die für die Fertigstellung ihres neuesten Buches "Framing; Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und darauf Politik macht", bereits in die USA zurückgekehrt war, sich dennoch sehr ausführlich Zeit für die vielen Fragen der ausgesprochen interessierten BSA-Mitglieder nahm und ihren spannenden Vortrag mit auf das Publikum und die aktuellen politischen Themen abgestimmten praktischen Übungen für die TeilnehmerInnen ergänzte. Darüber hinaus war der Abend eine exzellente Vorbereitung für die Landtags- und Gemeinderatswahl sowie die Bezirksvertretungswahlen in Wien und bot eine erste Analyse der bisherigen Wahlwerbung, der Themen, Motive und Slogans der Parteien.

"Framing" erläuterte die Wissenschaflterin als das Setzen von Deutungsrahmen, welche im politischen Diskurs oft bstimmte semantische Rollen und Erzählstrukturen. Das bewusste Einrahmen, also Steuern von Sprache wurde in den 1970er-Jahren in Studien untersucht, heute versteht man unter Framing die Sinngebung durch bestimmte Worte. In den USA gibt es ein stärker ausgesprägtes Bewusstsein für Framing, es ist bei Parteien, Firmen und in der Werbung stärker institutionalisiert, während es etwa in Europa weniger professionell betrieben wird und das Bewusstsein noch in den Kinderschuhen steckt.

Framing macht jeder. Framing greift auch dort, wo man ein Gespräch mit der Familie oder mit Arbeitskollegen führt. Wann immer wir sprechen, aktivieren wir Frames. Wann immer wir ein Wort begreifen, wird dazu ein Frame aktiviert, um den Wort überhaupt eine Bedeutung zu geben. Die Frage ist: Wie bewusst ist man sich der Frames, die man benutzt?

Viele Beispiele dafür gibt es allerdings auch schon in der deutschen Sprache, zum Beispiel den Begriff "Kernkraft", der von dessen Befürwortern stammt, da dieser vom Wert her die Sache eher verharmlost und positiv darstellt. Der Kern, die Substanz im Zentrum, ist etwas Gutes, etwas Notwendiges, etwas Natürliches und aus dem Alltag, etwa Traubenkerne, Fruchtkerne, bekannt. Ein weiteres Beispiel ist die Metapher der Steueroasen, die Orte mit niedriger Besteuerung wie Liechtenstein. Oasen sind Orte der Labsal in existentiell bedrohlichen, wüsten Umgebungen. Innerhalb dieser Metapher werden Steuern, ein zunächst einmal ganz abstraktes Konzept, als existentielle Bedrohung wahrnehmbar gemacht. Aus Sicht der Linguistin und Kommunikationspsychologin liegt dem Verständnis oft eine konservative Bedeutung als unmoralische Bestrafung des wirtschaftlich erfolgreichen Individuums zugrunde, wonach Steuern eine große Bedrohung des Wettbewerbsystems sind und diese Metapher transportiert die Interpretation mit.

Zum Beispiel, wenn ich sage: "Steuerlast". Wenn ich also dem abstrakten Konzept der Steuer einen Frame gebe, der sie begreifbar macht als physisch-emotionale Last, die per se negativ ist. Die Steuerbelastung schränkt als "Last" die Freiheit von Bürgern ein, man von der Last befreit werden kann. Innerhalb diese Frames hat man ein moralisches Narrativ, nach dem es einen Bösewicht gibt, einen Helden, ein Opfer und eine bedrohung. Die Bedrohung sind die Steuern, das tatsächliche oder potenzielle Opfer ist der Steuerzahlen. Der Bösewicht ist derjenige, der Steuern erhöhen will und der Held wäre schließlich derjenige, der die Steuern senkt. Durch sprachliche Frames werden gedankliche Frames aktiviert und die wiederum bedinen das Entscheidungsverhalten.

An diesem Beispiel kann man sehr gut erkennen, wie anhand eines Begriffs ein moralisches Narrativ aufgespannt wird, das automatisch als Interpretationsmuster mitläuft, wenn man diesen Begriff kognitiv verarbeitet. Framing lässt sich laut Elisabeth Wehling mit hehren und weniger hehren Zielen einsetzen, in der Politik, um die eigene Werteauffassung zu kommunizieren und es grob fahrlässig ist, wenn man sich über die Frames, die man benutzt, überhaupt keine Gedanken zu machen. Sprachliches Framing kann in der politischen Debatte dazu dienen, Inhalte zu verdeutlichen, es kann dem aber auch im Wege stehen.

Oft beobachtet man eine Dissonanz zwischen Vorhaben und kommunikativer Vermittlung dieses Vorhabens. Und das ist ein Problem: Man kann nicht Politik machen und sagen, jetzt haben wir Wahlkampf, jetzt holen wir uns eine Werbeagentur dazu und machen ein bisschen Sprache. Das funktioniert nicht.

Es kann tatsächlich passieren, dass man Worte oder Frames benutzt, die der Ideologie des Gegners entsprechen oder zumindest die eigene Ideologie nicht transparent machen. Wenn man etwa die Frames des politischen Gegners nutzt, kauft man sich damit gedanklich und sprachlich erst in dessen Welt ein, hingegen es durch die Entwicklung eigener Frames zu schaffen ist, seine Anliegen transparent zu machen.

Man muss sich immer die Frage stellen, wo die moralische eigene Dringlichkeit liegt. Man muss gedanklich Abstand nehmen, von dem, was der Gegner will und tut. Denn wenn man gegen etwas argumentiert, bleibt man immer ein Stück weit im Frame des Gegners verhaftet.

Framing greift auf drei Ebenen, erstens hat es mit der Kommunikation in der eigenen Gruppe zu tun, indem eine Sprache benutzt wird, die den eigenen Werten gerecht wird, daran auch die eigene Politik ausgerichtet wird. Zweitens hat Framing mit Meinungsumfragen zu tun, zumal die Politik erheben will, was die BürgerInnen denken, dementsprechend muss man sich die Sprache, die man nutzt, sehr gut überlegen, dasss man die eigenen Frames einsetzt und nicht jene des Gegners. Drittens muss man bei der Kommunikation mit den BürgerInnen darauf achten, dass die Sprache stimmt, denn Framing kommt nie nach der Politik, sondern ist ein untrennbar mit dem Team und mit der Politik verbundener Prozess.

In der Politik geht es immer um die Frage, was ist richtig, was ist falsch angesichts der Fakten. Und da scheiden sich die Geister, sonst gäbe es keine unterschiedlichen Parteien. Das hat damit zu tun, dass die Menschen unterschiedliche Auffassungen davon haben, was einen guten Menschen, was gute Führung ausmacht. Grob gesprochen gibt es immer das eher rechte und das eher linke Lager. Das heißt, die beiden Lager müssten ihre Werte vollkommen unterschiedlich vermitteln - mit Frames, die ihre jeweilige Ideologie begreifbar machen.

Wenn man mit politischen Sachverhalten zu tun hat, befindet man sich immer in gewisser Weise auf der abstrakten Ebene, zumal man keinen direkten körperlichen Zugang zu den Konzepten hat. Daher ist das Framing, das sich oft aus sogenannten "kogntiven Metaphern" speist, für die international tätige Sprach- und Ideologieforscherin absolut notwendig, um abstrakte Ideen mit Inhalten zu füllen und sie an das verkörperlichte Wissen anzubinden. Dieses Wissen bildet jene Ebene, auf der der Mensch am stärksten mitdenkt und fühlt, auf dieser Ebene können die Ideen und Konzepte einleuchtend vermittelt werden.

Die rechtspopulistischen Gruppen haben in Europa tolle Frames. "Multikulti-Wischiwaschi" ist auch ein toller Frame, aber einer aus dem konservativen Lager. Die linken Gruppen sind ins Hintertreffen geraten und müssten aufholen. Denn der saubere demokratische Dialog kann nur funktionieren, wenn man eine sprachliche Pluralität aufrechterhält, die auch die jeweiligen Wertemuster wirklich verdeutlicht. Es ist also nicht primär ein Problem linker politischer Gruppen, es ist ein Problem der Demokratie an sich.

Das Gespräch mit Elisabeth Wehling war für die BSA-Mitglieder äußerst interessant, zumal Politik immer schon ein Kampf um und mit Sprache war, in einer Zeit wie heute, ist die Macht einzelner Begriffe vielleicht so groß wie nie. Eine Metapher kann mit unter eine ganze Argumentationskette ersetzen, was nützlich, aber auch gefährlich sein kann. Die Macht der Sprache ist bekannt, dennoch kann man sich dieser kaum entziehen. Worte sind nicht nur ein Mittel für Informationen, sondern wecken Erwartungen und Erinnerungen, lenken Urteile und Entscheidungen. Worte lassen die Welt in den Köpfen der Menschen nochmals neu enstehen und das Resultat kann sich sehr schnell von der Realität abheben.

Veranstaltungsankündigung