Österreichs EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018 - Im Gespräch mit Elisabeth Hagen, Otmar Lahodynsky, Paul Schmidt, Jörg Wojahn

Liegt in der Kombination aus zentraler Politik und dezentraler Umsetzung der Schlüssel für Erfolg, Akzeptanz sowie ein europäisches Jahrhundert?
Bildung, Kultur und Medien • Europa und Internationales • Innen- und Kommunalpolitik
Wien
BSA Döbling
BSA EU-Gruppe
Dienstag,
29
.5.
2018
19.00 Uhr

BSA-Generalsekretariat

1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16, 3. Stock

Dr.in Elisabeth Hagen (Direktorin des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche wiiw)

Otmar Lahodynsky (Präsident der Vereinigung Europäischer Journalisten AEJ und Redakteur beim Nachrichtenmagazin Profil)

Mag. Paul Schmidt (Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik)

Dr. Jörg Wojahn (Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich)

Österreich übernimmt am 1. Juli 2018 zum dritten Mal, nach 1998 und 2006, für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Trotz geänderter Rahmenbedingungen durch das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon trägt Österreich als Vorsitzland wesentlich zur gesetzgeberischen und politischen Arbeit des Rates bei. Der österreichische Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018 wird eine große Anzahl von komplexen und anspruchsvollen Dossiers zu bearbeiten haben, insbesondere wird die Europäische Union in jenem Zeitraum mit zwei großen Herausforderungen konfrontiert sein, einerseits mit den Verhandlungen über den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union andererseits mit den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020. Die schwarzblaue Bundesregierung möchte sich unter dem Motto „Europa, das schützt“ auf die folgenden drei Schwerpunkte konzentrieren, Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration, Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung sowie Stabilität in der Nachbarschaft, vor allem auch die Heranführung des Westbalkans an die Europäischen Union, und sich bei der Umsetzung dieser Ziele vermehrt auf das Subsidiaritätsprinzip beziehen. Dementsprechend soll die Europäischen Union nach den Vorstellungen von ÖVP und FPÖ verstärkt in großen Fragen in Erscheinung treten, sich jedoch in kleinen Fragen zurücknehmen. Nicht zuletzt weil die FPÖ im Mai 2017 den aggressiven Anti-EU-Wahlkampf von Front National-Chefin Marine Le Pen begrüßte, sorgte in EU-Institutionen die Bildung der neuen schwarzblauen Koalition für Beunruhigung. Erwartet wurde eine Annäherung an Visegrád, somit an Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, erwartet, aber die österreichischen Pläne für eine Anpassung der Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland sind in den vier Staaten nicht gerne gesehen. Sebastian Kurz verbindet mit seinen nationalkonservativen Amtskollegen etwa in Budapest und Warschau mehr als nur viele Ansichten in der Flüchtlingsfrage, auch in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik und bei der Abgabe nationaler Kompetenzen an Brüssel. Eine Stationierung österreichischer Panzer am Brenner als eine Reaktion auf eine angeblich völlig ineffiziente Asylpolitik Italiens sowie die im Regierungsprogramm beschriebene Möglichkeit, SüdtirolerInnen deutscher Muttersprache die Doppelstaatsbürgerschaft anzubieten, sorgen für Aufregung. Während der österreichische Bundeskanzler Migration respektive den Kampf dagegen als Priorität sieht und die Sparsamkeit betont, möchte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die Europäische Union wirtschaftlich voranbringen und über Inhalte statt über Zahlen sprechen. Gegenüber der FPÖ bestehen europaweit Befürchtungen und eine Distanz, die neue Regierungspartei blieb Teil der europafeindlichen ENF-Fraktion im Europäischen Parlament und mit dem rechtsextremen Front National oder Geert Wilders verbündet. Abgesehen von der auf europäischer Ebene erneut kritisch aufgenommenen Regierungsbeteiligung bestehen große Herausforderungen für den österreichischen Ratsvorsitz, der die wichtige Aufgabe mit sich bringt, sowohl mit proeuropäischen als auch mit europaskeptischen Stimmen einen konstruktiven Dialog auf Augenhöhe zu suchen, um daraus neue Impulse für notwendige Reformen zu entwickeln. Die BürgerInnen in Europa erwarten ein besseres Leben trotz schwierigerer Rahmenbedingungen, durch eine stärkere gemeinschaftliche Politik in Europa sowie die weiterentwickelte Zusammenarbeit innerhalb der Europäische Union könnten diese Probleme besser bewältigt werden.

 

Gemeinsam mit unseren Gästen möchten wir verschiedene Fragestellungen gemeinsam vertiefen: Was werden die Hauptaufgaben für den österreichischen Vorsitz im Rat der Europäischen Union im zweiten Halbjahr 2018 sein? Wie steht es um die Umsetzung der Globalstrategie der Europäischen Union, der Europäischen Sicherheitsagenda sowie der Europäischen Migrationsagenda? Wie kann der Kampf gegen Steuerbetrug, Steuerflucht und Gewinnverschiebung, Arbeitslosigkeit und speziell Jugendarbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialdumping, Armut und soziale Ausgrenzung europaweit gestaltet werden? Wie steht es um Initiativen für mehr Steuergerechtigkeit? Werden die unterschiedlichen Vorhaben zum digitalen Binnenmarkt abgeschlossen? Wird die Arbeit an einer nachhaltigen, widerstandsfähigen und effizienten Energieunion fortgesetzt? Werden das Pariser Klimaabkommen und die EU-2030-Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasen vollzogen? Welcher Investitionen bedarf es in Wachstum und Arbeitsplätzen, in Innovation, Bildung und Forschung? Wie können junge Menschen gefördert werden? Wird die Agenda 2030 der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung weiter umgesetzt? Wird die Kooperation mit PartnerInnen im Mittelraum ausgebaut, um Ursachen für Fluchtbewegungen zu bekämpfen? Warum gilt dem Westbalkan ein besonderer Fokus? Wie können die Staaten integriert werden? Welche Bedeutung haben die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament, die vom 23. bis 26. Mai 2019 stattfinden werden, für die Arbeit des österreichischen Ratsvorsitzes? Wird es gelingen, möglichst viele offene Dossiers abzuschließen oder nahe an einen Abschluss zu bringen? Welche gemeinsame Positionen der Mitgliedsstaaten werden im Rat in den einzelnen Dossiers erarbeitet werden können? Ist eine Verstärkung des Subsidiaritätsprinzips der geeignete Zugang, um die gesetzten Ziele zu erreichen? Soll sich die Europäische Union auf jene Fragen konzentrieren, die einer gemeinsamen Lösung bedürfen, und sich in anderen Fragen zurücknehmen, in denen die Mitgliedsstaaten oder Regionen selbst besser entscheiden? Wird der Vorsitz im Rat der Europäischen Union durch die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament vor eine besondere Herausforderung gestellt? Werden EU-Mittel künftig an das Einhalten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geknüpft sein? Müsste Sebastian Kurz angesichts der rechtsstaatlich äußerst problematischen Situation in Ungarn und Polen etwa seine Parteifreundschaft mit Viktor Orban im Sinn einer vernünftigen Europapolitik beenden? Muss die FPÖ aus der europafeindlichen ENF-Fraktion austreten, um glaubwürdig einen pro-europäischen Anschein zu erwecken? Wie ist das Verhältnis zwischen der schwarzblauen Bundesregierung und den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu bewerten? Wie lassen sich Europa und Österreich zukunftsfähiger gestalten? Wie kann ein starkes Europa auch mehr nationalen Spielraum schaffen? Inwieweit lässt sich die Europäischen Union gemeinsam weiterentwickeln und handlungsfähiger machen? Wie kann eine europäische Politik erfolgreich zur Lösung vorrangiger Probleme wie etwa Arbeitslosigkeit, Ungleichheit oder Klimawandel beitragen und sich auf Herausforderungen, die unmittelbar Lebensbedingungen betreffen, konzentrieren, die gemeinsam und aufeinander abgestimmt besser gelöst werden können? Welchen Beitrag kann Österreich leisten, damit das Extrem der Renationalisierung als eine Sackgasse erkannt wird und das 21. Jahrhundert das Jahrhundert Europas wird?

Aus organisatorischen Gründen wird höflich um Anmeldung(en) per Mail unter doebling@bsa.at gebeten.