In wenigen Tagen wird in Österreich ein neues Staatsoberhaupt gewählt, im Kampf um die Hofburg geht es diesmal nicht nur um Prestige, sondern 30 Jahre nach der Waldheim-Affäre kann diese Hofburg-Wahl wieder die Republik verändern, denn es ist wie 1986 keine Bundespräsidentschaftswahl wie jede andere. Entgegen des laut allen Meinungsumfragen als offen und äußerst eng prognostizierten Wahlausganges zogen Norbert Hofer, der das beste Ergebnis in der Geschichte der FPÖ erreichte, und Alexander Van der Bellen, der die nötige Strahlkraft aufbringen könnte, um eine breitere Allianz hinter sich zu vereinen, ein. Österreich steht eine Polarisierung bevor, im Zentrum steht jener FPÖ-Kandidat, um ihn herum eine Art "Cordon sanitaire" der FPÖ-GegnerInnen und des sich für die Stichwahl formierenden Anti-Hofer-Lagers.
Das Staatsoberhaupt wird direkt vom Volk gewählt, in Österreich ist das bei keinem anderen Amt auf Bundesebene der Fall. Nach den festgeschriebenen Kompetenzen kommt kaum ein politisches Amt an die Bundespräsidentin/den Bundespräsidenten heran. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Verfassung in ihrer Form von 1929 wieder in Kraft gesetzt, so gelten die Regelungen allesamt bis heute. Allerdings sei diese Machtfülle nur eine theoretische und die Tatsache, dass das österreichische Staatsoberhaupt weniger Macht ausübt, als es könnte, wird unter dem Schlagwort „Rollenverzicht“ zusammengefasst. Die Zurückhaltung der Bundespräsidenten nach 1945 half wahrscheinlich dabei, die parlamentarische Demokratie zu festigen, rief aber auch KritikerInnen am „Staatsnotar in der Hofburg“ auf den Plan. Für die zukünftige Amtsinhaberin/den zukünftigen Amtsinhaber könnte sich die Frage des Rollenverzichts noch einmal verschärft stellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die FPÖ bei der kommenden Nationalratswahl auf Platz 1 landet. Ein Staatsoberhaupt, das die FPÖ dann mit der Regierungsbildung beauftragt, wird es rechtfertigen müssen. Ein Rechtfertigungsdruck bestünde vermutlich auch, wenn das Staatsoberhaupt einer stimmenstärksten FPÖ das Kanzleramt verweigert.
Die Wiener Hofburg hatte bei dieser Bundespräsidentschaftswahl eine besonders hohe Anziehungskraft, neben den beiden Kandidaten von SPÖ und ÖVP, deren Kandidaten in der Vergangenheit spätestens in der Stichwahl als neues Staatsoberhaupt gewählt wurden, standen diesmal drei weitere KandidatInnen mit potenziellen Siegeschancen auf das höchste Amt im Staat zur Wahl. Mit der Parteiunabhängigen Irmgard Griss, Rudolf Hundstorfer (SPÖ), Andreas Khol (ÖVP), Alexander Van der Bellen (von den Grünen unterstützt) und Norbert Hofer (FPÖ) hatten schon lange nicht mehr so viele KandidatInnen reale Chancen, diese Wahl zu gewinnen. Doch nicht nur die Anzahl der KandidatInnen, auch das Alter der BewerberInnen ist extrem weit gespannt. Zudem verlieh die Kandidatur von Richard Lugner dieser Wahl durchaus clowneske Züge, die diverse inhaltliche Themen fast in den Hintergrund des Interesses rückten.
Die MeinungsforscherInnen und viele PolitexpertInnen wagten kaum Prognosen, wer am 24. April in die Stichwahl einzieht und wer am 22. Mai zur Bundespräsidentin/zum Bundespräsidenten gewählt wird. Neben den unterschiedlichen politischen Standpunkten, Persönlichkeiten und Programmen spielt auch ein möglichst „fehlerfreier“ Wahlkampf eine zentrale Rolle, der der jeweiligen Persönlichkeit und ihrem Amtsverständnis nötige Mobilisierungskraft verleihen soll. KommunikationsstrategInnen, Politik- und MedienberaterInnen sowie PR-ManagerInnen feilten an der möglichst perfekten Wahlkampagne, um ihre KandidatInnen entsprechend klar zu positionieren. Die Unterstützungskomitees namhafter VertreterInnen aus Politik, Kunst, Kultur, Wissenschaft, Sport, Wirtschaft und Medien signalisierten gesellschaftlichen Zuspruch für die jeweiligen KandidatInnen, daneben sorgten Auftritte in sozialen Medien und diverse „Bewerbungsvideos“ der KandidatInnen schon zu Beginn des Wahlkampfs für größere Aufmerksamkeit.
Wer gewinnt das Rennen um die Hofburg? Welche Folgen wird die Bundespräsidentschaftswahl haben? Bedeutet das Wahlergebnis eine Zäsur, die nicht nur auf die KandidatInnen zurückgeführt werden kann? Welche Konsequenzen sind nach der Analyse der Ergebnisse zu ziehen? Warum wählte Wien anders als alle anderen Bundesländer und bis auf die Bezirke der Südosttangente mehrheitlich grün? Wieso wurde das rotblau-regierte Burgenland tiefblau? Weshalb gibt es keine Wahlempfehlungen von SPÖ und ÖVP? Haben die WählerInnen der Darstellung des politischen Etablishments oder der Regierungspolitik eine Absage erteilt? Welche Veränderungen muss es geben? Auf welche Themen muss man stärker setzen?
Wie sehen die Aufgaben, das Amtsverständnis des Staatsoberhauptes künftig aus? Welche Grundwerte, Überzeugungen und Menschenbilder muss die Amtsinhaberin/der Amtsinhaber mitbringen? Offiziell hat die Bundespräsidentin/der Bundespräsident zwar das höchste Amt im Staat inne, aber ist es auch das mächtigste? Welche Rolle spielt die jeweilige Persönlichkeit? Wirkt die Inszenierung in der Wahlwerbung noch authentisch? Welche Unterschiede zu anderen Wahlkämpfen sind bei dieser Persönlichkeitswahl feststellbar? Wie wichtig sind politische Inhalte? Welche Rolle nehmen klassische Werbemittel wie etwa Plakate oder Inserate in diesem Wahlkampf ein? Welche Neuerungen aus den Wahlkämpfen vergangener Jahrzehnte sind zu bemerken? Wie sehr und wie professionell werden das Internet und soziale Medien für die Kampagnen eingesetzt? Wie bedeutend waren neue TV-Debatten bei der Entscheidungsfindung?