Politischer Neujahrsauftakt über den Zu- und Stillstand der Politik

Alexandra Föderl-Schmid, Rainer Nowak und Florian Scheuba setzten an, wo es im Gebälg der Republik ächzt
Bildung, Kultur und Medien
Europa und Internationales
Innen- und Kommunalpolitik
Donnerstag,
8
.1.
2015
 
Wien
BSA Döbling
Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
BSA Alsergrund

Zum politischen Start in das spannende Wahljahr 2015 begrüßten der Bezirksklub Döbling und die Bundesfachgruppe für Mediengruppe im BSA die aufmerksamen und kritischen BeobachterInnen des politischen Geschehens, mit Alexandra Föderl-Schmid (Der Standard) und Rainer Nowak (Die Presse) die ChefredakteurInnen zweier Qualitätszeitungen sowie mit Florian Scheuba den vielleicht wichtigsten politischen Satiriker des Landes, die "Klartext im Getümpel heimischer Sumpflandschaften" sprachen, offen mit dem Publikum diskutierten und auch vielleicht unbequemen Fragen nicht aus dem Weg gingen.

Bevor sich die Diskussion ihrem Schwerpunkt, der Innenpolitik widmete, gingen die ReferentInnen auf die alles überschatteten Ereignisse in Paris vom Vortag ein, als 12 Menschen bei einem Terroranschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo starben, wobei Barbara Hauenschild, die diesen Abend in bewährter Weise moderierte, ein aktuelles Statement des VÖZ-Präsidenten Thomas Kralinger zitierte:

Wer Journalisten tötet, zielt auf das Herz der Demokratie. Wenn Medienmitarbeiter um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie ihrem Job nachkommen und Kritik äußern, ist die Freiheit der Gesellschaft in Gefahr.

Die Diskussion befasste sich zunächst mit dem politischen Stillstand, der nicht nur von den politischen KommentatorInnen immer wieder kritisiert wird, zumal uns politische Themen wie die Bildungsreform, die Sicherung des Pensionssystems oder die Verwaltungsreform seit Jahren oder Jahrzehnten begleiten.

Rainer Nowak ging in seinen Analysen der "Republik des politischen Stillstands" auf eine unglaubliche Unzufriedenheit vieler ein. Trotz sozialem Frieden oder auch hoher Lebensqualität in Österreich stellen entscheidende Bereiche ein hohes Risiko dar, dass die Zukunft schlechter als die Gegenwart ausfällt. Falls es so weitergehe, würde die Ära Faymann als kurzes, ernstes Kapitel in die Geschichtsbücher eingehen, da Zukunftschancen, Entscheidungen und Reformen verschoben, verdrängt oder verschlafen würden.

Faymann und MItterlehner könnten im Wissen, dass die gemeinsame Mehrheit sicher weg ist und dass keiner mehr eine Fortsetzung dieser Regierungsform wünscht, versuchen, etwas wiederguzzumachen: Das Vertrauen in die Politik. Etwa mit Entscheidungen in Bildung, Forschung, Pensionen, Föderalismus, Steuerbelastung. Beide haben nichts zu verlieren. Außer einen derzeit undankbaren Job vielleicht.

Ein weiteres Thema, das uns politisch im Jahr 2015 begleiten wird, ist die Hypo Alpe Adria. Der wenige Tage vor dem Gesprächsabend verstorbene Journalist Kurt Kuch, der im BSA-Generalsekretariat mit den BSA-Mitgliedern über Transparenz und Korruption diskutierte, war einer der Aufdecker dieses Skandals, wobei die Causa Hypo Alpe Adria auch als ein "nicht enden wollender Katastrophenfilm" beschrieben wurde. Die politische Verantwortung soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären, zumal ein Untersuchungsausschuss durchaus eine große Chance gegen die Politikverdrossenheit sein kann.

Alexandra Föderl-Schmid kommentierte die skandalösen Vorgänge bei der Hypo Alpe Adria, dass in Österreich Probleme gerne ignoriert und delegiert werden oder man abtaucht. Der Soziologe Max Weber verlangte in seiner bekannten Schrift von Politik als Beruf, "dass man für die Folgen seines Handels aufzukommen hat", wenngleich das nur in Österreich für den Beruf eines Politiker nicht zu gelten scheint.

Versagt haben alle: die Kärntner Politiker und Mitglieder der Bundesregierung. Verantwortung dafür will aber keiner übernehmen. In Österreich gibt es weder eine Verantwortungs- noch eine Rücktrittskultur. Wie sagte Moliere: "Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.

Der Satiriker zitierte eine repräsentative Umfrage und ging der Frage nach, angesichts bestehender budgetpolitischer Herausforderungen, welche Ausgabenkürzungen akzeptiert werden und welche nicht. Vorschläge für Ausgabenkürzungen wie etwa bundesweit vereinheitlichte Vorschriften, die Verhinderung von Mehrfachsubventionen sowie die Abschaffung der neun Landtage mit den neun verschiedenen Landesgesetzen und des Bundesrates sollen demnach unbedingt erfolgen, wobei er die Landeshauptleute-Konferenz als das wahre Entscheidungsgremium in der Bundesregierung ansprach.

Der Autor ging hierbei auf die seit 1974 bestehende "Heiligenbluter Vereinbarung" zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ein, deren Inhalt besagt, dass der Bund den Bundesländern unter anderem vorschreiben darf, wie sie ihre Buchhaltung zu gestalten haben, dieses Gesetz der Bund jedoch nur anwendet, sofern die Bundesländer im Sinne von Transparenz und Kontrolle damit einverstanden sind.

Unkontrollierte Geldvernichtungsaktionen wie das Hype Alpe Adria-Desaster oder der Salzburger Spekulationsskandal hätten andernfalls zumindest in diesem Umfang nicht geschehen können. Grund für dieses Totalversagen ist, dass es eine realpolitische Entsprechung zur "Heiligenbluter Vereinbarung" gibt. Diese nennt sich "Landeshauptleutekonferenz" und regiert unser Land anstelle der dafür von der Verfassung vorgesehenen Bundesregierung.

In weiterer Folge debattierten die DiskutantInnen über die politische Satire und die Presseförderung, zumal auch die Qualitätszeitungen vor finanziellen Herausforderungen stehen. Die Presseförderung in Österreich besteht aus 203 Millionen Euro an Inseraten von öffentlichen Stellen, wovon vor allem Boulevardmedien profitieren. Ende Dezember ist mit dem Jahresrückblick auch die letzte Folge der "Staatskünstler" im ORF ausgestrahlt worden. Es scheint fast so, als wäre für die politische Satire, zumindest im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, kein Platz und vor allem kein Budget mehr vorhanden.

Florian Scheuba stellte fest, dass in Österreich 11 mal mehr für Regierungsinserate als in Deutschland ausgegeben wird und bilanzierte eine Fehleinschätzung, wonach manche PolitikerInnen offensichtlich denken, dass man durch Subventionierung der Boulevardmedien bei der Bevölkerung beliebter wird.

Die teuer bezahlte Zuneigung von Zeitungsmachern, die schon mal bereit sind, beim Keilen von Inseraten die eigene Blattlinie zur Disposition zu stellen, ist von flüchtiger Natur und ein trauriges Surrogat für echte Anerkennung. Das Bedürfnis nach käuflicher Liebe wird es natürlich immer geben. Es sollte nur nicht auf Kosten der Steuerzahler ausgelebt werden.

Einig waren sich die Chefredakteurin des Standard und der Chefredakteur der Presse auch darüber, dass die Qualitätsmedien generell wenig Einfluss auf Politik und Wirtschaft in Österreich hätten. In dem Zusammenhang wurde darüber diskutiert, welche Rolle die Qualitätsmedien einnehmen können, da sich neue Perspektiven für die Demokratie und den Einfluss der Bevölkerung auf die Politik ergeben.

Alexandra Föderl-Schmid sah in der massiven Unterstützung der Online-Petition zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Hypo-Skandal ein Zeichen für eine neue Form direkter Demokratie in Österreich im Zeitalter des Internets, in dem sich die BürgerInnen nicht darauf beschränken wollen, in einem Abstand von 4 oder 5 Jahren ihre Stimme abzugeben, sondern häufiger mitbestimmen möchten.  

Wenn Bürger und Politiker stärker interagieren, könnte dies ein Weg zur Wiederbelebung der repräsentativen Demokratie in der derzeitigen Form sein. Neue Kommunikations- und Partizipationsformen können auch ein Beitrag sein, die Politikerverdrossenheit zu verringern.

Rainer Nowak ging auf die Verlängerung der Legislaturperiode anlässlich seiner Bilanz nach dem 1. Jahr der Regierung Faymann II ein, da die Legislaturperiode mit der Argumentation verlängert wurde, eine Regierung könne nur so große, möglicherweise unpopuläre Reformen beschließen und durchführen.

Die Kritik an der Regierung, ihrer Performance und ihrem sogenannten Regierungschef ist so laut, so massiv, so allgegenwärtig und so gerechtfertigt, dass selbst journalistischen Wiederholungstätern Superlative und polemische Formulierungen ausgehen.

Interessant ist in dem Zusammenhang der Befund über die politischen Personalbesetzungen, während sich Rainer Nowak an ÖVP-Ministerinnen und Staatssekretärinnen erinnerte, die bis zur Nominierung dem eigenen Bezirksparteichef völlig unbekannt waren, aber dennoch zum Zug kamen, weil sie die angeforderte Kombination aus Frau, Westen, Familie und ÖAAB erfüllten, meinte Alexandra Föderl-Schmid, dass SPÖ und ÖVP kaum Personalreserven und beträchtliche Nachwuchsprobleme hätten.

Florian Scheuba berichtete von seinen Begegnungen während Dreharbeiten für die Staatskünstler mit der einen oder anderen Nachwuchshoffnung der SPÖ und ging bereits in seinen Kolumnen nicht nur auf die weit verbreitete Realitätsverweigerung, sondern auch auf das Nichterkennen der Notwendigkeit von Richtungsentscheidungen ein und hoffte, dass der "Jugendkulturforscher" Bernhard Heinzelmaier auch mit der Einschätzung damit danebenliegt, dass jene die Erfolgreichen sind, die sich unterwerfen.

Dieses Nichtakzeptieren vorhandener Missstände steht im Gegensatz zum vom parteiinternen Faymann-Fanclub bevorzugten Machtpragmatismus. Von der Entscheidung, welche Grundhaltung sich in der Partei durchsetzen wird können, hängt deren Zukunft ab.

Auch das Phänomen Pegida war ein Thema, das seit Wochen in Deutschland die politische Debatte beschäftigt, Politik und Medien dieser für Deutschland neuen Form des Rechtspopulismus mehr oder weniger fassungslos gegenüberstehen. Auch in Österreich kämpft die Politik schon seit längerem mit einem Vertrauensverlust, der auch an den meist kurzfristigen Wahlerfolgen neuer Parteien deutlich wird.

Die langjährige Standard-Korrespondentin in Deutschland ging auf die Situation in beiden Ländern ein und regte in der Debatte an, dass die Politik nicht Ängste ignorieren, sondern mit Fakten agieren sollte.

Merkel hätte die Gelegenheit nutzen sollen, das zu tun, worauf die Menschen, nicht nur in Deutschland, warten, was sie von Politikern zu Recht erwarten: dass Sorgen und Ängste angesprochen, klare Standpunkte vertreten und Lösungen gesucht werden.

Eine weitere Fragestellung bildete die angekündigte Steuerreform, für die die Regierungsparteien bis März 2015 eine Einigung vorlegen wollen. Offen blieb in der Diskussion allerdings, wie ein Konsens aussehen könnte und ob es langfristig die notwendigen Mittel für die Zukunftssicherung geben wird.

Während der Herausgeber der Presse die Basis einer Steuerreform auf einer Mischung aus Hoffnung und Ideologie sieht, kritisierte die Co-Herausgeberin des Standard in einem Kommentar, dass man die Frage in Kauf nimmt, ob in der SPÖ gar kein wirtschaftspolitischer Sachverstanden mehr vorhanden sei, nachdem der Bundeskanzler das ÖGB-Konzept als SPÖ-Konzept für die Steuerreform präsentierte.

Wer keine eigenen Ansprüche hat, braucht nur die anderer zu übernehmen.

Abschließend gab es noch viele Fragen und Statements aus dem Publikum, welches mit Teilnehmern wie Josef Broukal oder Fritz Hausjell ebenfalls über große Expertise verfügte, und zum Abschluss des Abends wurde das Podium von Barbara Hauenschild, die diese Diskussion moderierte, gebeten, den Abend mit einer positiven Vision ausklingen zu lassen, zumal die Politik auch in Zukunft positive Impulse braucht.

Veranstaltungsankündigung