Der neue Weg zur Prosperität und das Elend des Marktfundamentalismus

Europa und Internationales
Innen- und Kommunalpolitik
Wirtschaft und Arbeit
Dienstag,
19
.2.
2019
 
Wien
BSA Döbling
BSA Rudolfsheim-Fünfhaus
BSA Simmering
Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Gesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften
Vereinigung sozialdemokratischer Angehöriger in Gesundheits- und Sozialberufen
Vereinigung Sozialdemokratischer Universitäts- und FachhochschullehrerInnen

Die beiden Buchautoren Stephan Schulmeister und Walter Ötsch sowie Ökonomin Helene Schuberth und Falter-Herausgeber Armin Thurnher diskutierten über eine Ideologie, nach der nur die Konkurrenz das ökonomisch Beste ermöglicht, den Neoliberalismus als Ideologie im Interesse des Finanzkapitals, die neoliberale Weltordnung, in der etwa ein Arbeiter nur noch als Kostenfaktor erscheint, den es zu senken gilt, den daraus resultierenden Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Staatsschulden und Sozialabbau, die Ursachen für den beständigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Niedergang, die vorherrschende neoliberale Wirtschaftstheorie, die Mythen Markt und Neoklassik, die Hoffnung auf soziale Wärme in der nationalen Volksgemeinschaft oder die Flucht in populistische Weltbilder, Alternativen zu vorherrschenden neoliberalen Empfehlungen und neue Wege am Ende einer Sackgasse.

Organisator Matthias Vavra mit Armin Thurnher und Helene Schuberth

 

Viele Bereiche der Gesellschaft, die früher eigenen Regeln gefolgt sind, haben sich einer wirtschaftlichen Effizienzlogik unterworfen, damit hat die Ökonomie den Status einer gesellschaftlichen Leitwissenschaft errungen. Kritisiert wurde die Transformation der Ökonomie in eine Wissenschaft von „dem Markt“ in der Einzahl, ein Konzept, welches durch Redewendungen wie etwa „Der Markt bestraft die Politik“ und „Wir können den Selbstheilungskräften des Marktes vertrauen“ einerseits wie eine Person gedeutet wird, andererseits mit Kräften ausgestattet wird, überdies mit den „Marktmechanismen“ mechanistisch gedacht wird. Jene Theorien, die diesen Marktbegriff verwenden, sind als „marktfundamental“ zu bezeichnen.

Volles Haus im BSA in der Landesgerichtsstraße

In der Kürze der Zeit wurden verschiedene Aspekte vertieft: das Konzept von „dem Markt“, wer dieses Konzept erfunden hat, welches Denkkollektiv damit entstanden ist, welche Aspekte „den Markt“ ausmachen, ein wichtiges Modell in Form des breitenwirksamen Angebot-Nachfrage-Ansatzes, wie dieser in Lehrbüchern der neoklassischen Mikroökonomie gelehrt wird, die Folgen dieser Denkschule und die praktischen Auswirkungen für die Politik und die Gesellschaft insgesamt. Derzeit sind zwei Trends zu bemerken, ein technischer Fortschritt, dessen Möglichkeiten jedoch nicht voll ausgeschöpft werden. Durch den Fleiß von IngenieurInnen und TechnikerInnen wurde die Innovation vorangetrieben, Dieser technische Fortschritt hat dafür gesorgt, dass Produkte billiger geworden sind, gleichzeitig ist aber die Zahl jener Menschen gestiegen, die davon nichts haben, da diese arbeitslos geworden sind oder nur noch prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorfinden.

Die wesentliche Triebkraft des Kapitalismus ist das seit dem Ökonomen Adam Smith bekannte Profitstreben, welches sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr auf das Gebiet der Finanzspekulation verlagerte. Wenn man das Investitionsverhalten der vergangenen 40 Jahre betrachtet, ist festzustellen, dass der Unternehmenssektor immer weniger in reale Werte wie etwa Maschinen und Fabriken und immer stärker in Finanzanlagen wie Aktien, Anleihen und Derivate investierte. Damit fließt Kapital in Tätigkeiten, mit denen keine neuen Werte geschaffen werden, sondern lediglich umverteilt werden, was sich negativ auf die Nachfrage auswirkt. Wenn hingegen die wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Realwirtschaft gelenkt werden, dann ist das ein Positivsummenspiel für alle. Das bedeutet, der Kuchen wächst immer, ob man will oder nicht. Dass es zum Beispiel im Jahr 1960 Vollbeschäftigung in Österreich gegeben hatte, war nicht von den Unternehmern beabsichtigt, aber ein Kollateralnutzen. Wenn das Profitstreben sich nur in der Realwirtschaft entfalten kann, dann gibt es entsprechende Investitionsquoten in Maschinen, Fabriken und Bauwerke. Für diesen Fall bedarf es immer mehr Arbeitskräfte, dadurch steigen die Löhne und es gibt mehr Wohlstand, aber heute ist diese Spielanordnung auf die Finanzmärkte konzentriert. Einer der Gründe dafür war die Liberalisierung an den Finanzmärkten, plötzlich konnte viel mehr gehandelt werden. Das hat die Volatilität an den Finanzmärkten erhöht, besonders bei Währungen und Rohstoffen und bietet Spekulanten neue Gewinnchancen.

Mit am Podium: Stephan Schulmeister und Walter Ötsch

Ein anderer Faktor ist, dass sich Finanzkapital heute so schnell und unproblematisch flüssig machen lässt. Das Profitstreben der Unternehmer ist zu sehr auf die Finanzmärkte konzentriert, zwischen 2008 und 2016 haben Unternehmen kaum investiert. Ein Unternehmen hätte etwa eine Maschine kaufen können, wenn sich aber die damit verbundenen Erwartungen eines höheren Warenumsatzes nicht erfüllen, dann wäre die Investition verloren. Wenn ein Unternehmer dagegen eine Aktie kauft, dann kann diese in drei Minuten wieder verkauft werden. Die Entwicklung hat viel mit der Offensive der Neoliberalen zu tun, die seit den 1940er-Jahren geplant war. Zu den führenden Köpfen des Neoliberalismus gehörten der aus Österreich stammende Ökonom Friedrich August von Hayek und der US-Amerikaner Milton Friedman von der University of Chicago. Was beide verbindet, ist die Überzeugung, dass nur der Egoismus auf freien Märkten gute Resultate schafft. Die wissenschaftliche Fundierung ist völlig verschieden. Hayek hatte argumentiert, dass das Wissen jedes Einzelnen beschränkt ist. Gerade deshalb muss der Markt der Planwirtschaft immer überlegen sein, da der Markt das Wissen von Milliarden Menschen bündelt. Hayek konnte mit dieser völlig richtigen Theorie ab den 1950er-Jahren immer mehr punkten, das akademische Fundament war gelegt.

In den 1960er-Jahren kamen entscheidende Entwicklungen hinzu, ab dem Zeitpunkt, als Vollbeschäftigung geherrscht hat, sind die Gewerkschaften in die Offensive gegangen. Die Streiktätigkeit hat sich verdreifacht, die Gewerkschaften haben überbetriebliche Mitbestimmung verlangt. Dann kam das Jahr 1968, das für die Vermögenden zusätzlich verstörend war. Nicht wegen des Protests der Studierenden, sondern weil die Intellektuellen scharenweise nach links abgedriftet sind. Das war der Zeitgeist, der die Sozialdemokratie an die Macht geblasen hat. Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte damals verkündet, dass alle Bereiche der Gesellschaft mit Demokratie durchfluten möchte, dem standen die UnternehmerInnen skeptisch gegenüber.

Professionell moderiert wurde die Veranstaltung von Stefan Schiman

Wenn man diese Entwicklungen zusammenfasst, ist nachvollziehbar, dass die Vermögenden, aber auch Klein- und Mittelbetriebe eine gemeinsame Abwehrhaltung eingenommen haben. Gleichzeitig eroberten die Theorien der Neoliberalen die Hörsäle an den Wirtschaftsuniversitäten und wurden so nach und nach zur vorherrschenden gesellschaftlichen Theorie. Die Klein- und Mittelunternehmer hätten nur dann kritischer gegenüber dem Finanzkapitalismus werden können, sofern es in der öffentlichen Debatte auch eine Alternative gegeben hätte. Ein Angebot hätte auf politischer Ebene nur von der Sozialdemokratie kommen können, aber das kam nicht. Alternativen für ein Wirtschaftsmodell werden heutzutage angeboten, dazu zählen etwa die Gemeinwohlökonomie und die Vollgeldinitiativen. Es hätte ausreichend Raum gegeben, um zu betonen, dass ein effizienter, ausgebauter Sozialstaat auch für die Unternehmen vorteilhaft ist, da dieser die Nachfrage dort stabilisiert, wo die Firmen etwas anzubieten haben. 

Bereits in den 1990er-Jahren begann die Absage der Sozialdemokratie an ihre Rolle als bedingungsloser Verfechter des Sozialstaats in Europa und als Verfechter der Interessen von ArbeitnehmerInnen. Es sind zwei Dinge zusammengekommen, der Zusammenbruch des realen Sozialismus auf der einen und die Vorbereitungen für die europäische Währungsunion auf der anderen Seite. Im Zuge dieses Prozesses wurden in der EU die Maastricht-Kriterien geschaffen mit ihren strengen Vorgaben dazu, wie weit sich Staaten verschulden dürfen. Die Sozialdemokraten haben dem zugestimmt, womit sich zeigt, dass kein Gefühl dafür entwickelt wurde, welche Rolle diese Fiskalregeln dabei spielen können, den Sozialstaat zu schwächen. In der Geschichte sind Krisen immer dann ausgebrochen, wenn die Staatsverschuldung sehr hoch war und deshalb die privaten Vermögenswerte entwertet werden mussten, um das auszugleichen.

Im Anschluss an die Veranstaltung wurden noch rege Gedanken ausgetauscht

Die entscheidende Frage ist, wie man Budgetdefizite bekämpft. Das Fatale der neoliberalen Theorie ist, dass hier immer die Schuldner an Fehlentwicklungen schuld sind. Wenn ein Staat zu viele Schulden hat, wie etwa Griechenland, dann wird gefordert, dass dieser sparen muss. Dass Griechenland schuld an seinem Finanzfiasko ist, greift allein zu kurz, vielmehr ist jeder Schuldner Teil eines Gesamtsystems. Der Kapitalismus hat immer nur dann funktioniert, wenn UnternehmerInnen die angesparten Überschüsse der Privathaushalte in Form von Krediten für Investitionen übernommen und ausgegeben haben. Jedem Überschuss entspricht ein Defizit, für diesen Ausgleich haben lange Zeit die Unternehmen mit ihren getätigten Investitionen gesorgt. In den 1950er- und 1960er-Jahren musste der Staat daher nichts tun und hatte einen ausgeglichenen Haushalt.

Seit 40 Jahren erzielt der Unternehmenssektor gleichsam Überschüsse wie die Haushalte, die Defizite machen die Staaten. Die deutsche Lösung lautet hier, das Ausland macht die Defizite, aber diese Lösung erscheint kurzsichtig. Den Maastricht-Vertrag haben auch die Staaten in Südeuropa unterschrieben, sich aber bekanntermaßen nicht daran gehalten und mit ihrer Nachfrage Deutschland stabilisiert. Die südeuropäischen Staaten haben riesige Außenhandelsdefizite gemacht, dafür konnte Deutschland eifrig Waren exportieren und seine Arbeitslosigkeit von über fünf Millionen Menschen abbauen. Dann kam die Finanzkrise, und Deutschland wies seine Unterstützer in Südeuropa darauf hin, dass diese viele Schulden gemacht haben. Inzwischen haben alle Staaten in Südeuropa mit Ausnahme Frankreichs erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse, exportieren mehr als sie importieren. Daher argumentierten die USA, dass der größte Wirtschaftsraum der Welt sehr große Leistungsbilanzüberschüsse auf deren Kosten erzielt.

Der systemische Ansatz sagt, dass man die Staatsdefizite bekämpfen muss. Das kann aber nur dann gelingen, wenn es für Unternehmen wieder interessanter wird, in die Realwirtschaft zu investieren. Eine Lösungsansatz lautete, den Fließhandel auf allen Finanzmärkten durch Auktionen, die alle drei bis vier Stunden stattfinden, zu ersetzen. Der Preis für eine Aktie könnte nicht mehr laufend, sondern nur alle paar Stunden ermittelt werden, diese Idee könnte die Welt vollkommen aus den Angeln heben.

 

 

Veranstaltungsankündigung