Wie man nur mit FPÖ-WählerInnen reden kann:

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Dienstag,
3
.9.
2019
 
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Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Vereinigung Sozialdemokratischer Universitäts- und FachhochschullehrerInnen

„Nicht bemitleiden, nicht auslachen, nicht verabscheuen, sondern verstehen“, lautet das Motto des französischen Soziologen Pierre Bourdieu.

Über Begegnungen jenseits der Spaltung, den Dialog mit einem Teil der FPÖ-Wählerschaft, die generelle politische Stimmung vor den Nationalratswahlen 2017 und 2019, die Körpersprache der Mächtigen, wie man beispielsweise am Stammtisch oder bei öffentlichen Veranstaltungen Hetzer stoppen, Propaganda entlarven, Vorurteile entkräften kann, diskutierten die Filmemacherin Ulli Gladik, der Vorsitzende des Mauthausen Komitee Österreich und leitende Sekretär des ÖGB für Organisation Willi Mernyi, der wissenschaftliche Leiter und Geschäftsführer von SORA Günther Ogris sowie der Körpersprache-Experte und Autor Stefan Verra, da es insbesondere, aber nicht ausschließlich in Zeiten fokussierter Unintelligenz einen offenen Diskurs braucht, der nicht rechthaberisch nur die eigenen Positionen bestätigt, sondern neue Wege eröffnet.

V.l.n.r.: Willi Mernyi, Ulli Gladik, Moderator Maximilian Eberl, Günther Ogris und Stefan Verra

 

Als einleitender Impuls wurde ein Trailer des Dokumentarfilms „Inland“ gezeigt, welcher FPÖ-WählerInnen vor und nach der Nationalratswahl in Österreich begleitete, die in roten Arbeiterfamilien sozialisiert wurden, jedoch ihre Hoffnungen auf die FPÖ setzen.

Ulli Gladik ging auf deren Sehnsucht nach einem besseren Leben für die „kleinen Leute“ und deren großes Unbehagen gegenüber „den Ausländern“ ein und zeichnete anhand von Problemen, Ängsten und Gesinnungen ein Bild einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft. Menschen, die vom Arbeitsmarkt zu früh aussortiert wurden, die sich ungebraucht fühlen oder die trotz Arbeit Altersarmut fürchten müssen, belegen mit ihren Erzählungen, was etwa Arlie Hochschild in ihrem vielbeachteten Buch über WählerInnen von US-Präsident Donald Trump als „Deep Story“ bezeichnet. Entfesselte Globalisierung, gesteigerte Konkurrenz und Flexibilisierungsdruck am Arbeitsmarkt erzeugen auch bei den Menschen in derzeit gut abgesicherten Lebensverhältnissen Ängste. Eine Frage, die sich viele stellen, lautet: Werde ich den steigenden Arbeitsdruck bis zur Pension aushalten und wenn nicht, was dann? Das zentrale Versprechen des Kapitalismus, dass mit Leistung ein, wenn auch langsamer, sozialer Aufstieg zu schaffen ist, haben viele Menschen verinnerlicht, funktioniert allerdings nicht mehr. Gleichzeitig meinen diese Menschen wahrzunehmen, wie sich andere, MigrantInnen, vordrängeln. Dies wird als unfairer Wettbewerb empfunden, ihr subjektives Gerechtigkeitsempfinden verletzt.

Die Regisseurin meinte, dass Knittelfeld und Ibiza nicht zum endgültigen Niedergang der FPÖ führen und plädierte für einen anderen Umgang mit dem Rechtspopulismus. Wenn man an ressentimentgeladenen Denunzierungsdiskursen festhält, dann wird nicht nur die Anbindung dieser WählerInnen an die FPÖ verstärkt, sondern auch eine Gefahr verstärkt, in einem politischen System aufzuwachen, welches die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright in einem Buch als Faschismus bezeichnete. Vielmehr geht es darum, die dahinterliegende Geschichte zu verstehen, da diese trotz der FPÖ-Skandale bestehen bleibt. Zunächst heißt das einmal nichts anderes als den Dialog nicht bei der ersten fremdenfeindlichen Äußerung abzubrechen, das Visier runterzuklappen und die moralische Keule auszupacken. Eine Diskussion mit politische Andersdenkenden bedeutet jedoch für die Filmemacherin ausdrücklich nicht, wie dies einige SPÖ-PolitikerInnen vorführen, Zugeständnisse an rassistische Deutungsmuster oder dehumanisierende Migrationspolitiken zu machen. Entscheidend ist, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, den Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen.

Willi Mernyi wendete sich an Menschen, für die für Zivilcourage mehr als ein Schlagwort ist, um dem demagogischen Klima, das sich in der Öffentlichkeit, im Betrieb, im Freundeskreis auszubreiten droht, erfolgreich etwas entgegenzusetzen und nicht mit den Wölfen heulen oder schweigen wollen, wenn Hetzer loslegen. Der Gewerkschafter legte pointiert dar, wie ein Gespräch richtig eingeschätzt werden kann, auf welche Art und Weise man sich dabei verhalten soll, wie man auf demagogische Attacken vorbereiten kann und wie man auch in schwierigen Gesprächssituationen Vorurteile entkräften, Hetze abwehren und Menschen für sich gewinnen kann. Der Vorsitzende des Mauthausen Komitees machte deutlich, wie er bei den drei FPÖ-Fans, einer Kellnerin, einem Arbeitslosen und einem Beamten, im Café Florida, wo man früher Rot gewählt hatte und heute Blau wählt, „damit sich die Arbeitsbedingungen wieder verbessern“, argumentiert. Wesentlich ist, sich optimal auf unangenehme Gespräche vorzubereiten und die eigenen Fehlerquelle möglichst gut auszutrocknen. Ein Protagonist äußerte im Film „Inland“ seine Hoffnung, dass sich bei einer blauen Regierungsbeteiligung die Gewerkschaft „endlich wieder auf die Füße stellt“.

Der Gewerkschafter mit Leib und Seele beantwortete, wie er einen Widerspruch, dass einer die Blauen wählt, damit die Roten stärker werden, auflöst  und was man gegen die Anbindung der WählerInnen an die FPÖ aus seiner Sicht tun kann. Das aktive Zuhören bei den WählerInnen, die keine RechtsextremistInnen, aber voller Angst, Sorgen, Selbstzweifel und Zukunftspessimismus sind, ist eine Kunst, um Wertschätzung zu geben. Die einen fühlen sich durch die geschilderten Entwicklungen bedrängt und wenden sich den Rechtspopulisten zu, während die anderen diese als RassistInnen abstempeln. Damit reproduzieren die anderen nicht nur auf der symbolischen Ebene eine Spaltung, die sie zu bekämpfen vorgeben, sondern vertiefen diese. Der FSG-Bundesgeschäftsführer sprach an, welche Argumentation und Gegenargumentation, vielfältige Methoden und Technik für den Umfang mit alltäglichen Gesprächssituationen hilfreich sein kann. Überdies vermittelte er Wissenswertes zum Thema Emotionen, wie man diesen während unangenehmen Gesprächen korrekt umgehen kann. Erwähnenswert ist die Wichtigkeit der emotionalen Ebene, auf der, zusätzlich zu rationalen Argumenten, in einem Gespräch stets kommuniziert werden muss.

Günther Ogris betreibt mit dem SORA Institute for Social Research and Analysis nicht nur internationale sozialwissenschaftliche Forschung und erstellt präzise Hochrechnungen und Wahlanalysen, sondern berät auch Organisationen bei der Konzeption, Umsetzung und Evaluierung ihrer Kampagnen. Er ging auf Themen ein, die bei Menschen die Bereitschaft erzeugen, einer Partei ihre Stimme zu geben. Interessant ist, welche Hauptbotschaften, Themenschwerpunkte und Argumente man auswählen soll, um etwa die drei FPÖ-WählerInnen im Film auch anzusprechen. Der Effekt von Botschaften lässt sich in relevanten Zielgruppen evaluieren, wobei diese Auswahl von Themen verbildlicht und fesselnd erzählt werden muss. „Es ist eine bleibende Herausforderung für alle DemokratInnen, sich immer wieder neu um das Vertrauen der Menschen, den sozialen Ausgleich und eine bessere Zukunft für alle zu bemühen.“ Da sich die Menschen mit weniger Bildung und finanziellen Ressourcen signifikant weniger an Politik beteiligen, kann sich Enttäuschung als Politikverdrossenheit und Systemprotest verfestigen. Ähnliche Problemlagen führen verbunden mit gewissen Denkmustern zur Bereitschaft, einer autoritär agierenden Partei zu folgen. Daher geht es um Beiträge zur demokratischen Erneuerung und daran zu arbeiten, dass kein Mensch für die Demokratie verloren geht, um eine lebendige,  starke Demokratie zu erhalten.

Laut einer Einschätzung habe sich die SPÖ längst auf die gut gebildeten AufsteigerInnen der digitalen Gesellschaft fokussiert, wodurch sich eine Repräsentationslücke aufgetan habe, welche die Rechtspopulisten als ihre große Chancen sehen und erfolgreich mit rassistischen, nationalistischen und menschenverachtenden Inhalten füllen. Ökonomische Daten zeigen jedenfalls laut dem Sozialwissenschaftler seit den 1970er-Jahren in den OECD-Staaten eine zunehmende Vermögens- und Machtkonzentration, in Bezug auf den bekannten „Fahrstuhleffekt“ wäre zu ergänzen, dass es für immer mehr SPÖ-WählerInnen nicht mehr nach oben geht. Diese Ungleichheit und die Macht des großen Geldes über Meinungen, Stimmungen und Abstimmungen stellen eine Bedrohung dar, damit das Vertrauen in die politischen Vertretungen nicht schwindet und sich die Menschen nicht von der Demokratie abwesenden, müssen die Institutionen, Parteien, PolitikerInnen und BürgerInnen die Vision einer gerechten Gesellschaft erneuern und auch glaubwürdig verkörpern.

Stefan Verra befasste sich sowohl in seinem aktuellen Buch „Leithammel sind auch nur Menschen“ als auch in dem Panel mit dem Umstand, dass alle Menschen mit ihren Körpern sprechen, aber manche erfolgreicher, mächtiger als andere sind, was sehr viel mehr mit gezielter Mimik und Gestik zu tun hat als man denkt. „Wenn es um Politik geht, nicht nur genau hinhören, sondern auch kritisch hinschauen“, lautete eine seiner Empfehlungen, um die Signale der Mächtigen zu durchschauen und daraus etwas für das eigene Leben zu lernen. Er hält das Parteiprogramm für enorm wichtig, aber man gewinnt damit allein keine Wahlen. Menschen reagieren immer zuerst über die Emotionen und überprüfen erst dann die Inhalte. Es braucht jemanden an der Spitze, die oder der die Emotionen der WählerInnen trifft. Sollten die Menschen auf die Regierung angefressen, muss ein Oppositionspolitiker das mit einer Körpersprache deutlich widerspiegeln, wodurch sich die Unzufriedenen in ihrem Ärger verstanden fühlen. In weiterer Folge ging der Coach auf die Körpersprache von Pamela Rendi-Wagner, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ein. Die SPÖ-Kanzlerkandidatin hat die Körpersprache eines Alphas, ist souverän, erhaben, blickt gerade und klar in die Kameras. Für eine Vorstandsvorsitzende oder eine Bundeskanzlerin sei das wunderbar, aber nicht für die Oppositionsrolle, da man die WählerInnen, die über die türkisblaue Koalition empört sind, mit dieser Zurückhaltung und Intellektualität nicht ab, wodurch dem Arbeiter in Simmering die Tür zur SPÖ verschlossen bleibt. Aus seiner Sicht wurde der SPÖ-Bundesparteivorsitzenden von Beratern empfohlen, etwas mehr als aus sich herauszugehen, wodurch es zu etwas befremdlichen Auftritten kam. Da Pamela Rendi-Wagner nicht eine ist, die auf den Tisch haut, hätte sie diese Rolle, seiner Meinung nach, nicht annehmen dürfen. Wenn ein Mensch etwas macht, das nicht seinem Temperament entspricht, dann wirkt das unbeholfen. Der ÖVP-Altkanzler ist nur oberflächlich betrachtet ein junger Mann, der für Veränderung steht, da er die älteste Körpersprache hat. Seine Körpersprache sagt etwas anderes, seine Frequenz und seine Amplitude sind niedrig. Der ÖVP-Kanzlerkandidat vermittelt mit kleinen Bewegungen, dass er den Status quo beibehalten wird. Er wiegt die Menschen gerne in Sicherheit, seine Bewegungen sind langsam und sehr eng am Körper, was der Autor mit einem Vergleich darstellte, wenn der ÖVP-Bundesparteiobmann spricht, dann formt er seine Hände dahingehend, als würde er eine Salatschüssel halten. Das beruhigt, aber schläfert manchmal fast schon etwas ein, zudem wirkt er damit eher alt, was wiederum erklärt, warum seine Worte überlegt wirken. Insgesamt ist Sebastian Kurz körpersprachlich kein überragendes Talent, da es sehr einfach ist, ihn aus seiner Rolle zu bringen. Solange er auf etwas vorbereitet ist, macht er das wunderbar, aber mit einer unerwarteten Situation kann er nicht selbstbewusst genug umgehen. Sein Erfolg lässt sich durchaus im Tandem mit Heinz-Christian Strache erklären, da ihre Kombination von Ruhe und Aufgeregtheit durch die von ihnen abgedeckte Bandbreite an Emotionen uneinholbar ist. Der ehemalige FPÖ-Vizekanzler hat eine hohe Frequenz und macht ausladende Bewegungen, mit einer zackigen, hochfrequenten Körpersprache kann der frühere FPÖ-Bundesparteiobmann WählerInnen seiner Partei, die vielfach ProtestwählerInnen sind, gut abfangen.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Person körpersprachliche Vielfalt und viele Verhaltungsmöglichkeit haben muss, dass sie selbstbewusst aussteigt, wenn sie mit einer Grenzüberschreitung oder einen unangenehmen Vorwurf konfrontiert wird. Emmanuel Macron, der es fuchtelnd bis lümmelnd in den Élysée-Palast geschafft hat, ist ein gutes Beispiel, er kann mit Angela Merkel, deren Raute eine geheime Wirkung hat, Donald Trump, der seinen Zeigefinger als Waffe einsetzt, Boris Johnson oder Wladimir Putin, dessen Blick gegenüber Kindern ausreichend wäre, damit das Aufräumen funktioniert, gleichermaßen souverän umgehen. Anzumerken ist, dass der Präsident Frankreichs mit seinen Augenbrauen seine ZuhörerInnen faszinieren kann, aufgrund seiner körpersprachlichen Wirkung würden bei einer Rede auf einem Parkplatz innerhalb kürzester Zeit viele Menschen bei ihm stehen. Unabhängig von diesem Exkurs stellte der Autor fest, dass das körpersprachliche Niveau in Österreich etwas höher als in Deutschland ist. Die Stärke der AfD, der Schwesterpartei der FPÖ, sagt weniger über die Rechtspopulisten als über die anderen Parteien aus, welche schwach sein müssen, dass sie derart durchschnittlichen Präsentatoren nichts entgegenzusetzen haben. Seiner Meinung nach liegt das an den Parteistrukturen, die zu selten Talente nach vorne lassen. Viele Menschen, die vor Energie explodieren, werden kleingemacht. Es kommen die Menschen an die Spitze, welche nur die Körpersprache der Gremien sprechen. Damit schaufeln sich die etablierten Parteien ihr eigenes Grab, treten gegenüber Bewegungen zurück. Das kann aber problematisch sein, denn diese Bewegungen gründen vielfach auf keinem stabilen Fundament, bieten keine Stabilität und Sicherheit.

 

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