Ein wirklich unabhängiger, glaubwürdiger, starker ORF - Im Gespräch mit Dieter Bornemann, Jakob Brossmann, Matthias Karmasin, Daniela Kraus und Rubina Möhring

Welcher Rahmenbedingungen bedarf es für ein innovatives öffentliches Medienunternehmen, einen langfristig abgesicherten öffentlich-rechtlichen Rundfunk im 21. Jahrhundert?
Bildung, Kultur und Medien • Europa und Internationales • Innen- und Kommunalpolitik
Wien
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Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Vereinigung Sozialdemokratischer Universitäts- und FachhochschullehrerInnen
Dienstag,
17
.9.
2019
19.00 Uhr

BSA-Generalsekretariat

1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16, 3. Stock

Dieter Bornemann (Journalist und Vorsitzender des Redakteursrates im ORF)

Jakob Brossmann (Filmemacher, Bühnenbildner und Regisseur des Dokumentarfilms "Gehört gesehen - ein Radiofilm" als Blick hinter die Kulissen von Ö1, den Beitrag von Qualitätsjournalismus für eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft sowie den Zauber und die Kunst des Radiomachens)

Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, MAE (Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie Direktor des Institutes für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung CMC der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ÖAW und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)

Dr.in Daniela Kraus (Historikerin und Generalsekretärin des Presseclub Concordia)

Dr.in Rubina Möhring (Historikerin, Vizepräsidentin der internationalen Menschenrechtsorganisation Reporters sans frontiéres und Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich)

"Politikern ist nicht wichtig, wie es dem ORF geht, sondern wie es ihnen im ORF geht“, stellte der frühere ORF-Generalintendant Gerd Bacher fest. ORF-Moderator Armin Wolf beschrieb den ORF als das nach wie vor mit Abstand wichtigste Medienunternehmen in Österreich, welches in Radio, Fernsehen und online regelmäßig mehr als 90 Prozent der Bevölkerung erreicht. Die türkisblaue Koalition, die ein neues ORF-Gesetz geplant hatte, ist nach dem Skandal um das Ibiza-Video geplatzt, trotzdem geht es wieder einmal um die Zukunft des ORF, obgleich es viele gibt, die diesem keine attestieren. Das hat laut einer Analyse des Regisseurs David Schalko mehrere Gründe, einer dürfte sein, dass sich viele Menschen ihre „Informationen“, oder was sie dafür halten, aus sozialen Medien besorgen, wo Information oft mit Behauptung verwechselt wird. Man könnte konstatieren, dass „Fake News“ den Untergang der seriösen Medien einläuten, schließlich führen falsche Behauptungen zu politischen Entscheidungen. Wenn dem Erfolg beschieden ist, dann könnte man meinen, dass sich Medien in einer Krise befinden, zumindest jene, die sich mit Fakten statt Bildern befassen. Ein Missverständnis könnte auch darin bestehen, dass jeder und jedem das Programm eines gebührenfinanzierten Senders gefallen muss und man sich als öffentlich-rechtlicher Sender dem Publikum anbiedern soll. Der gegenwärtige Populismus verträgt sich mit Unpopulärem, Kompliziertem und Faktenbezogenem äußerst schlecht, vielmehr versuchen PopulistInnen eine Medienlandschaft zu gestalten, wo sie ihr Weltbild möglichst einfach und effektiv für ihre Zielgruppen darstellen können. Nachvollziehbar ist, dass viele PolitikerInnen ein eminentes Interesse daran haben, wie über sie selbst, ihre Parteien und ihre Pläne berichtet wird. Der politische Einfluss der FPÖ führte zur Befehlsaufgabe, der ORF habe ein FPÖ-konformes Medium zu sein. Für die FPÖ ist der ORF der naturgemäße Feind, deshalb verwundert es nicht, dass sich die FPÖ auf die Legitimationsdebatte der öffentlich-rechtlichen Sender stürzt. Das hat man in Form von Entgleisungen von Norbert Steger, Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl bereits zu spüren bekommen, offen ausgesprochene Drohgebärden eines Vizekanzlers, eines Innenministers oder eines Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrates hätten in einem aufgeklärten Staat selbstverständlich Konsequenzen. Der bisherige Koalitionspartner, speziell der ehemalige Bundeskanzler und der vormalige Medienminister, schwiegen dazu, was auf unbehagliche Verhältnisse oder vielleicht auf das gleiche Ziel, postdemokratische, autoritäre Strukturen zu etablieren, schließen lässt. Der ÖVP scheint diese Debatte durchaus entgegenzukommen, da sich in Folge der Selbstzerfleischung vielleicht der eine oder andere Teil des ORF privatisieren lässt, spricht über ihn wie von einem Steigbügelhalter für Privatsender, als wäre es seine wesentliche Aufgabe, die Situation der Privatsender zu verbessern. Der ORF leistet etwas, was mit dem Versorgungsautrag zu tun hat und von Privatsendern, die unter dem großen Druck des freien Marktes stehen und deren Relevanz sich ausschließlich über den marktwirtschaftlichen Erfolg definiert, in dieser Form nicht geleistet werden kann. Einen unabhängigen ORF braucht es mehr denn je, ein starker ORF ist für uns alle gut. Das bildet auch die Legitimation dieses öffentlich-rechtlichen Senders, dass dieser uns allen gehört, wie die U-Bahn, Krankenhäuser oder Theater. Der Staat leistet sich diese Säulen, da diese für die Gesellschaft etwas Unverzichtbares leisten, was von privater Seite nicht alleine geleistet werden kann oder soll. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk stellt eine zentrale Säule für die Demokratie dar und hat überdies eine absolute Verpflichtung, nach objektiven Kriterien zu handeln. Es braucht eine kritische Gegenöffentlichkeit, der unabhängige, glaubwürdige und starke öffentliche Rundfunk als kontrollierende Macht ist essentiell für eine funktionierende Demokratie, die Meinungs- und Medienvielfalt ist wertvoll und schützenswert.

 

Gemeinsam mit unseren Gästen möchten wir verschiedene Fragestellungen gemeinsam vertiefen: Wie kann das politische Bewusstsein gestärkt werden, dass ein wirklich unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk für ein demokratisches Gemeinwesen sehr viel wichtiger als ein Parteien- oder Regierungsfunk? Entdeckt jede Partei den Wert eines möglichst unabhängigen ORF erst dann, wenn sie sich in Opposition befindet? Wiegt für die jeweils Regierenden das kurzfristige Interesse an Einflussmöglichkeiten stärker? War tatsächlich jede ORF-Gesetzesänderung ein neuer Versuch der jeweiligen Regierung unter dem Titel „Entpolitisierung“ den politischen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk festzuschreiben? Ist es nicht neu, dass die FPÖ bei der Freiheit der Medien ein demokratiepolitisches Defizit aufweist? Wie sind die Freiheitlichen finanziell und ideologisch mit rechten bis rechtsextremen Medien wie „Aula“, „Alles Roger“, „Unzensuriert“ oder „Zur Zeit“ verstrickt? Wie kann man dem persönlichen Druck auf Journalisten und Drohungen, falls aus Sicht der FPÖ nicht „korrekt“ berichtet wird, begegnen? Ist das populistische Vokabular von „Zwangsgebühren“ über den „Rotfunk“ mit privilegierten „Rotfunklern“ und den „linken Endkampf“ bis zur ewig gestrigen „Lügenpresse“ nichts Neues? Welche sinnvollen Rahmenbedingungen sollte ein zukunftsweisendes ORF-Gesetz enthalten? Sollten grundlegende Bestimmungen idealerweise im Verfassungsrang stehen? Wie kann der öffentlich-rechtliche Mehrheit als Verfassungsauftrag trotz kommerzieller Widrigkeiten im Vordergrund der inhaltlichen Gestaltung von Hörfunk, Fernsehen und Internetangeboten stehen? Wie kann das Bewusstsein der PolitikerInnen gestärkt werden, welche Bedeutung dieser Verfassungsauftrag für Bildung, das Sozialkapital, die Kommunikationskultur, die demokratische Einstellung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder die Vermittlung von Rationalität in der Beantwortung gesellschaftlicher Fragen hat? Wird der Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wobei ein verfassungsrechtlich gefordertes Qualitätskriterium sein öffentlich-rechtlicher Status ist, als Aufgabe verstanden? Steht der der öffentlich-rechtliche Rundfunk in zunehmendem Ausmaß privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Marktinteressen von finanzstarken internationalen Medienkonzernen, welche dessen Gebührenfinanzierung als Wettbewerbsverzerrung kritisieren, gegenüber? Wie ist eine sinnstiftende, strukturierte Aufteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern möglich? Kennt man Parteilichkeit, die dem ORF verwehrt ist, in Österreich etwa vom Boulevardjournalismus? Welche gesellschaftlich erwünschten Aufgaben soll der öffentlich-rechtliche Auftrag im Gegensatz zur kommerziellen Konkurrenz definieren? Wie kann der ORF seinen Auftrag, vor allem der Unabhängigkeit, den Wünschen von Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen entgegenhalten und sich als „Schule der Demokratie“ bewähren? Wenn man diesen ins 21. Jahrhundert überträgt, muss man dann die Verpflichtung zu absoluter Objektivität und Qualität, unabhängig von Quotenerfolgen, dafür im Dienste der aufgeklärten ZuseherInnen und jener, dies noch werden wollen, einbeziehen? Ist die Gebührenfinanzierung das Instrument, um einem öffentlich-rechtlichen Sender zu ermöglichen, seine Relevanz vorrangig durch Qualität zu erzielen? Wie können der Wert und der Nutzen für die Gesellschaft im Vordergrund stehen? Wie können ständige Entscheidungen zwischen Quotenerfolg und Qualität vermieden werden? Wie können Bildungsziele berücksichtigt werden? Aus welchem Grundverständnis heraus könnte sich ein klares Bekenntnis zur kollektiven Finanzierung des ORF definieren? Wie kann die Finanzierung aus dem Budget verhindert werden, um eine Abhängigkeit des ORF von der jeweiligen Bundesregierung zu vermeiden? Wie sollte vielmehr die Bereitschaft der Republik Österreich, ihr wichtigstes Kommunikationsmedium zu unterstützen, aussehen?