Die Frage, was jemanden zum sogenannten echten Österreicher macht, wird immer kontroverser verhandelt, das zeigt eine aktuelle Studie von WissenschafterInnen der Universität Wien, welche die diskursive Konstruktionen der österreichischen Identitäten in den Jahren 2015, 2005 und 1995 untersuchten. Für die Untersuchung wurden in der Langzeitstudie Interviews, Fokusgruppen, Medienberichte und politische Reden analysiert, dadurch die Entwicklung des Selbstbilds der ÖsterreicherInnen der vergangenen 20 Jahren, nachgezeichnet werden konnte. Zugespitzt hat sich eine Polarisierung unter anderem in Genderzuschreibungen, die österreichische Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst mit dem weltweit bekannten Markenzeichen und der Volksrock’n-Roller Andreas Gabalier als die beiden Extrempole eines Prototypen eines sogenannten nationalen Körpers von Homo Austriacus und Femina Austriacus, so visuell sichtbar und so polarisiert in der Öffentlichkeit hat die Auseinandersetzung noch nie stattgefunden. Conchita als Beispiel für Offenheit, Buntheit sowie eine moderne Interpretation der Geschlechterrollen steht dabei Gabalier als Verfechter einer traditionellen und patriarchalen Gesellschaft gegenüber, der sich weigerte, die Nationalhymne in ihrer neuen Version mit den Töchtern zu singen.
Polarisiert hat 2015 auch der Heimatbegriff, was sich nicht zuletzt im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 niederschlug. Auf der einen Seite gibt es die Verfechter einer Kulturnation, für die der sogenannte echte Österreicher hellhäutig ist, schon lange hier lebt, dessen Eltern schon hier geboren wurden, der ausgezeichnet österreichisches Deutsch spricht und sich gegen andere, immer wieder arbiträr definiert, abgrenzt. In der Untersuchung 2015 wurden in Politik und Sport wesentlich mehr Fahnen geschwenkt als früher, die FPÖ habe gar im Wiener Landtagswahlkampf 2015 eine eigene Österreich-Hymne präsentiert und der banale Nationalismus sei auch mit Klischees wie wehenden österreichischen Fahnen, Bildern von Bergen und Wiesen und Menschen in Tracht gepflegt worden. Auf der anderen Seite stehen die Verfechter einer Staatsnation, für die der Österreicher durch den Besitz eines österreichischen Passes dazu gemacht wird, unabhängig davon, wann jemand in das Land gekommen ist und ob er oder sie Deutsch mit Akzent spricht, starker Identifikationsfaktor dieser Gruppe ist unter anderem die erfolgreiche Sozialpolitik. In dem Wahlkampf habe es diesmal Bemühungen gegeben, jenen Heimatbegriff aus dem nationalen Eck zu holen und mit anderen Bildern als Tracht und Bergen zu besetzen.
Eine wichtige Rolle für die österreichische Identitätskonstruktion spielten auch die verschiedenen Herausforderungen, Finanzkrise, Griechenland und Flüchtlinge, der vergangenen Jahre, durch sie wurden längst überwunden geglaubte Grenzen wieder hochgezogen und die Frage, wie Österreich mit Menschen auf der Flucht umgehen solle, polarisierte. Zeitgleich gab es eine Veränderung in der politischen Kommunikation, eine neue Losung wurde ausgegeben, eine sogenannte Integrationsunwilligkeit müsse bestraft werden, um Werte und Sicherheit zu schützen. Plötzlich wurden spezifische kulturelle sowie religiöse Unterschiede als Zeichen von Radikalisierung interpretiert, nach Integration durch Sprache und Leistung soll Integration jetzt notfalls auch durch Strafen durchgesetzt werden. Nicht nur Flüchtlinge, auch ehemalige GastarbeiterInnen bringen eine ganz andere, oft traumatische, Vergangenheit und Identitätsdefinition mit, weshalb man einen Dialog zwischen den verschiedenen Vergangenheiten, um Menschen zu integrieren, beginnen muss. Aufklärung und Zivilisation würden im Lauf der Zeit Freiheit und Wohlstand für alle bringen und der Fortschritt letzte Spuren einer Herkunft aus Armut und Barbarei überwinden, eine offene Gesellschaftsordnung die kritischen Fähigkeiten des Menschen freisetzen.
Gemeinsam mit unseren Gästen möchten wir grundsätzlichen wie aktuellen Fragestellungen nachgehen: Was ist heute Heimat? Was macht einen sogenannten echten Österreicher aus? Weshalb ist das Spektrum der Antwortmöglichkeiten auf diese Fragen so groß? Was hat sich in den letzten 20 Jahren politisch, sozialpsychologisch sowie medial verändert? Ist viel Neues an Kriterien und Charakteristika hinzugekommen? Warum hat sich eine Polarisierung etwa in den Personen Conchita Wurst und Andreas Gabalier ergeben? Sind Offenheit und Patriarchat die Extrempole? Welchen Bedeutung hat die Sozialpolitik als Identifikationsfaktor? Was müssen die Ziele in einer Einwanderungsgesellschaft wie Österreich sein, um auch die Neo-ÖsterreicherInnen eine solche gemeinsame Geschichte hereinzuholen? Welche Lehren sind aus der Geschichte zu ziehen? Welche Bedeutung haben Gedenken und Erinnerung angesichts diverser Jubiläen für die Konstruktion nationaler Identität? Ist eine Internationalisierung dieser Bemühungen eindeutig zu bemerken? Wird ein Dialog nicht über Staatsbürgerschaft und Sprache, sondern auch über einen umfassenden interkulturellen Austausch ein entscheidender Punkt für das gute Zusammenleben in der Gesellschaft sein? Werden Menschen für die offene Gesellschaft eintreten? Werden Kräfte dazu verwendet und verschwendet, sich nach außen abzuriegeln? Kann Freiheit ungemütlich werden, die Menschen überfordern und die Sehnsucht nach der Rückkehr in eine geschlossene Gesellschaft nähren? Was sind die entscheidenden Faktoren, die immer wieder reaktionäre Bewegungen ermöglichen, die auf die Rückkehr in eine geschlossene Gesellschaft hingearbeitet haben und noch hinarbeiten? Müssten alleine schon aus purem Egoismus die Freiheitsrechte allen anderen Menschen zugebilligt werden, dass man nach seinen Wünschen leben und frei sein kann? Wie sehr stellen wachsende soziale Ungleichheit, Fundamentalismus sowie Krieg und Flucht das demokratische Selbstverständnis der offenen Gesellschaft zunehmend auf die Probe? Bekommen politische oder wirtschaftliche Prozesse eine Dynamik, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen? Wie müssten AkteurInnen Einflussnahme ermöglichen und sich positionieren, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Demokratie zu stärken?