Verfassungsreferendum in der Türkei

Bildung, Kultur und Medien
Europa und Internationales
Innen- und Kommunalpolitik
Donnerstag,
6
.4.
2017
 
Wien
BSA Döbling
Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Gesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften

Aus aktuellem Anlass durften wir zu einem Kamingespräch die Historikerin Duygu Özkan, Journalistin bei der Tageszeitung Die Presse, und den Politikwissenschaftler Hakan Akbulut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik OIIP, begrüßen. Am 16. April stand in der Türkei bei einem Referendum ein Entwurf für eine Verfassungsreform zur Abstimmung, welcher nach offiziellen Angaben mit knapper Mehrheit von 51,4 Prozent angenommen wurde. Das Präsidialsystem sieht in den neuen Bestimmungen unter anderem vor, dass der türkische Präsident ab 2019 nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef sein soll und einer Partei angehören darf, was bislang nicht erlaubt war, sondern auch seine StellvertreterInnen wählen, MinisterInnen ohne Parlamentsanhörung ernennen, welche vom Parlament nicht per Misstrauensvotum abgesetzt werden können, die Ministerien nach seinen Wünschen formen, persönlich über die Wahl der RektorInnen an den Universitäten entscheiden, das Parlament auflösen und Gesetzesvorhaben mit seinem Veto blockieren kann. Das seit 1920 bestehende parlamentarische System dürfte im Zuge der Änderung der Verfassung bis zum Ende der Amtszeit des Staatspräsidenten beibehalten werden, nach der Reform und einer erneuten Kandidatur für zwei Amtsperioden zu je fünf Jahren könnte der Amtsinhaber die Geschicke des Landes bis 2029 bestimmen.

Nach den Äußerungen von Recep Tayyip Erdogan und der regierenden AKP soll die Türkei, die sich seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 im Ausnahmezustand befindet und von Terroranschlägen erschüttert wird, durch die historische Wende mit einem Wechsel vom Parlamentarismus zum Präsidialsystem stabilisiert werden. Viele Menschen scheinen allerdings unzufrieden mit den Verhältnissen in der Türkei zu sein, etwa ist die Lira im Vergleich zum US-Dollar so schwach wie seit 1981 und die Arbeitslosigkeit so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr. Kritische JournalistInnen werden als Terrorverdächtige verfolgt und Medien geschlossen, StaatsanwältInnen abgesetzt, mutmaßliche AnhängerInnen der Gülen-Bewegung ihrer Posten enthoben. Die Repressionen treffen inzwischen jedoch nicht mehr nur türkische Oppositionelle, sondern auch KritikerInnen aus dem Ausland wie Deniz Yücel, einem in Istanbul in Polizeigewahrsam befindlichen Korrespondenten der Tageszeitung Die Welt aus Deutschland.

 

Veranstaltungsankündigung