Die Sehnsucht nach dem starken Mann - Im Gespräch mit Anneliese Rohrer, Günther Ogris, Doron Rabinovici und Oliver Rathkolb

Das Geschichts- und Demokratiebewusstsein in Österreich: Wie können Politik und Medien angesichts zunehmend autoritärer und antidemokratischer Einstellungen wieder Vertrauen und Image in der Bevölkerung verbessern?
Bildung, Kultur und Medien • Europa und Internationales • Innen- und Kommunalpolitik
Wien
BSA Döbling
Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Gesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften
Vereinigung Sozialdemokratischer Universitäts- und FachhochschullehrerInnen
Mittwoch,
14
.6.
2017
19.00 Uhr

BSA-Generalsekretariat

1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16, 3. Stock

Günther Ogris, MA (Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des SORA Institute for Social Research and Analysis)

Dr. Doron Rabinovici (Schriftsteller und Historiker, Mitgründer und Sprecher des Republikanischen Clubs - Neues Österreich)

Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb (Institutsvorstand und Universitätsprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Wien)

Dr.in Anneliese Rohrer (Journalistin bei der Tageszeitung Die Presse)

Die Ergebnisse einer im Frühjahr 2017 durchgeführten Studie zum Geschichts- und Demokratiebewusstsein der ÖsterreicherInnen und der Vergleich mit der gleichen Untersuchung aus dem Jahr 2007 belegen einen akuten Handlungsbedarf. Konkret wünschen sich 43 Prozent den sogenannten starken Mann an der Spitze Österreichs. Diese starken Männer haben Konjunktur, regieren im Alleingang, manchmal durch Einschüchterung und Willkür, verzichten auf politische Korrektheit, nennen wahlweise Opposition oder Medien Feinde und ignorieren internationale Gesetze. Die nationalen Interessen werden von Mann zu Mann geregelt, Vereinbarungen per Handschlag besiegelt und patriarchalische Werte betont, auch in Österreich sehnen sich viele Menschen nach diesem Politiker-Typus. Nicht jeder Freund einer autoritären Führung ist für einen Systemwechsel weg von der Demokratie, aber das gilt demnach für 23 Prozent der Bevölkerung mit durchaus totalitären Einstellungen. Der Wert ist extrem hoch, der Vergleichswert lag vor zehn Jahren bei 14 Prozent. Der wesentliche Grund für die steigende Sehnsucht nach einem starken Mann oder gar dem Abschied von der Demokratie ist die Verunsicherung vieler Menschen durch die Globalisierung. Für eine überwiegende Mehrheit bleibt die Demokratie zwar die beste Regierungsform, aber hat in den vergangenen zehn Jahren Zustimmung verloren, wobei dieser Trend nicht nur für WählerInnen vom politischen Rand, sondern auch für eine oft schweigende, durch Perspektivenlosigkeit frustrierte Gruppe gilt und gleichsam das wachsende Bedürfnis nach Recht und Ordnung unterstreicht. Ein stärkeres Vorgehen gegen UnruhestifterInnen und AußenseiterInnen können sich 61 Prozent der Befragten vorstellen, dahinter verbirgt sich vermutlich vor allem Angst und Sorge der Menschen, in turbulenten Zeiten unter die Räder zu kommen. Politische Führung meint dabei nicht automatisch das Modell der RechtspopulistInnen, zwar können solche Studienergebnisse potenziell Rückenwind für Parteien wie etwa FPÖ, AfD, PVV und Front National bedeuten, aber das hängt immer vom Angebot der anderen ab. Die subjektive Angst kennt jedoch keine historischen Vergleiche, sofern die Politik keine Antworten darauf findet, stehen wir vor einem autoritären Zeitalter, wie dies der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf bereits in den späten 1990er-Jahren prognostizierte. Auch eine demokratieorientierte Führung, die ruhig, nachhaltig und glaubhaft das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten suche, könnte politisch attraktiv sein, das Vertrauen gewinnen und das Image der Politik verbessern.

 

Worin liegt der akute Handlungsbedarf bei Politik und Medien? Wie ist der gewaltige Schub beim autoritären Hardcore-Potenzial zu bewerten? Was führt zu autoritären Systemen? Muss sich die Politik vor allem auch um jene kümmern, die politisch apathisch sind? Bedarf es besonderer Aktivitäten und Maßnahmen im Bildungsbereich? Welche Rolle spielen ein elitärer Zugang in der Bildungspolitik sowie eine Fokussierung auf Gymnasien und universitärer Ausbildung im Vergleich zu Pflicht- und Berufsschulen und der Lehre? Wie stark hängen der Bildungsgrad und die Einstellungen der Menschen zusammen? Muss einer breiten Gesellschaft im Bereich der kritischen Betrachtung und der politischen Bildung vermehrt Rechnung getragen werden? Braucht es einen Demokratieunterricht? Welches politische System und welche Demokratie wollen die WählerInnen? Wie wichtig sind den BürgerInnen Regierung und Opposition, Meinungsfreiheit oder unabhängige Gerichte? Beeinflusst der Hang zu autoritären Strukturen die Einstellung zur Demokratie? Welches antidemokratische Potenzial ist in der Gesellschaft vorhanden? Wie viele Menschen sind demokratieverdrossen oder fühlen sich ungerecht behandelt und denken, dass in der Politik nichts weitergeht? Ist dieser vermehrte Wunsch nach dem starken Mann damit verbunden, dass das Vertrauen in die Lösungskompetenz des politischen Systems gesunken ist? Denken die ÖsterreicherInnen, dass sie auf die Regierung Einfluss nehmen können? Hat die Unsicherheit in der Bevölkerung zugenommen? Profitieren davon die starken Männer? Wünschen sich immer mehr BürgerInnen Recht und Ordnung? Wird dies als politisches Allheilmittel gesehen und es deshalb von fast allen Parteien aufgenommen? Welche Rolle spielen das Sozialsystem, die Globalisierung oder der Bildungsgrad? Wie können die Politik oder auch politiknahe Institutionen wieder verstärkt in Kontakt mit der Bevölkerung kommen? Wie sollten die Medien den politischen Diskurs und Verhandlungen, den Kompromiss bewerten, kommentieren und ihren LeserInnen präsentieren?

Aus organisatorischen Gründen wird höflich per Mail unter doebling@bsa.at um Anmeldung(en) gebeten.