Die FPÖ und ihr zersetzendes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat

Bildung, Kultur und Medien
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Donnerstag,
21
.3.
2019
 
Wien
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Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
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Angesichts der Idee einer Sicherungshaft und des Rechtsverständnisses von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, dass das Recht der Politik zu folgen habe und nicht umgekehrt die Politik dem Recht, diskutierten Schauspielerin Erni Mangold, Autorin Daniela Kickl, Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk und Menschenrechtsexperte Hannes Tretter unter anderem über rote Linien, die überschritten wurden.

 Link: Videoaufzeichnung der Veranstaltung auf Youtube

Erni Mangold dachte nicht, dass sie mit ihren 92 Jahren die Geschichte noch einmal einholen wird und ging den von ihr unterzeichneten offenen Brief von 300 AutorInnen ein, die gemeinsam mit ihr den Aufruf „Kickl muss gehen“ unterstützen, worin es unter anderem heißt: „Die Politik hat in der Demokratie das Recht ohne Wenn und Aber zu respektieren, die in der Verfassung festgelegten Prinzipien der Gewaltentrennung und Rechtsstaatlichkeit sind zu respektieren.“

Die Schauspielerin bezeichnete die Politik der FPÖ als furchtbar bis schrecklich und deren Rhetorik im Grunde als primitiv. Sie war nicht erstaunt, dass es viele Menschen gibt, die die vereinfachte Argumentation der FPÖ unterstützen, da den Nährboden für das ideologische Kapital der FPÖ die zunehmende Unüberschaubarkeit der Ökonomie, die wachsende Informationsdichte, „Bauchgefühle“ und Schuldzuweisungen bilden, wobei Angst das gefährlichste Gefühl für die Demokratie ist.

„Besen, Besen! Seid gewesen!“, Erni Mangold zog Parallelen zwischen „dem Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe, wo ein selbstgefälliger Protagonist seine Fähigkeiten überschätzt und deshalb die Kontrolle über sein Handeln verliert, und der Politik in Österreich. Die „engagierte Zeitzeugin mit dem Herz am linken Fleck“, die sich selbst als „ein linkes Mädchen, klarerweise“ beschrieb, äußert ihr Mitleid mit Pamela Rendi-Wagner wie  mit Johanna Dohnal. Sie betonte, dass sich in der Bildungspolitik an ihre schulischen Anfänge 1933 erinnert fühlte und äußerte Sympathien für das Bildungsvolksbegehren von Hannes Androsch. Die Schauspielerin appellierte, dass Österreich viel mehr aufgerüttelt werden muss.

Obgleich manche vielleicht das Gefühl haben, zu wenig gehört zu werden, muss man lästiger sein. Es mag sein, dass Kritik oder Unzufriedenheit nicht gefragt sind, die Einigkeit in der türkisblauen Bundesregierung hat ihrer Meinung nach nichts mit der Zivilgesellschaft zu tun. Erni Mangold fragte auch nach der jungen Generation, sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft, und gab jungen Menschen mit einem Augenzwinkern, den Rat, dass junge Menschen, die Karriere machen wollen, in die Junge ÖVP einsteigen sollen. Grauenhaft ist, dass sich die Politik nicht vorwärts-, sondern rückwärts entwickelt, politisch entscheidend ist für sie aber der Einsatz für Bildung.

Daniela Kickl klärte zunächst das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem Cousin Herbert auf, deren Väter waren Brüder, die gemeinsamen Großeltern haben 14 Kinder. Der Auslöser für das Briefeschreiben war ein Ereignis im Nationalrat im November 2017, als der damalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern an die Pogrome gegen jüdische BürgerInnen im Jahr 1938 erinnerte und die Abgeordneten der FPÖ, darunter Herbert Kickl, nicht klatschten. Zuerst hatte die Autorin wegen möglicher Angriffe aus dem rechten Lager gezögert, etwas zu schreiben, aber ihre Lesungen in Österreich wurden noch nie von Rechten gestört.

Die Ökonomin hatte, da sie in Wien und ihr Cousin in Kärnten aufwuchs, nur eine persönliche Begegnung mit dem FPÖ-Innenminister im Jahr 1989 an der Universität Wien, auf einen ihrer Briefe hat Herbert Kickl bis heute nicht reagiert. Die Briefe sind ein Stilmittel, um mit ihrem Cousin ganz anders kommunizieren zu können, als Briefe direkt an die FPÖ zu schreiben. Daniela Kickl kündigte an, dass sie weiterschreiben muss, solange ÖVP und FPÖ an der Macht sind. Sie betonte, dass sie nicht anders könnte und zeigte sich optimistisch, dass es diejenigen geben wird, die nicht vergessen werden, die die anderen Menschen daran erinnern werden und die aus einem blauen Scherbenhaufen eine bessere Welt basteln werden.

Sie stimmte auch der Feststellung zu, „wer das Völkerrecht ausheben will, die Menschenrechtskonvention in Frage stellt und die Gewaltentrennung und Gleichheit vor dem Gesetz als Hindernis für seine Vorhaben begreift, ist als Innenminister untragbar“. Die Ökonomin ging auf das Verhältnis ihres Cousins zum sogenannten „kleinen Mann“ ein, Herbert Kickl hat niemals einen Job außerhalb der Partei gehabt. Außerdem fand es die Autorin nicht in Ordnung, dass sich die FPÖ als die Partei dieses „kleinen Mannes“ präsentiert, denn der FPÖ-Innenminister hat als das Mastermind einiger blauer Sinnsprüche wie „Daham statt Islam“, „Pummerin statt Muezzin“ oder „Abend in Christenhand“  dem kleinen Mann viel versprochen und nichts davon gehalten. Vielmehr ärgerte die Ökonomin, dass die FPÖ, kaum angekommen in der Bundesregierung, demontiert, was zu demontieren ist. Offen blieb, ob und wann die FPÖ Gegenwind bekommt und FPÖ-WählerInnen von der Partei enttäuscht sind.

Sie machte ihre breite Kritik an drei Hauptpunkten fest, am Umbau des Sozialstaates in Richtung Arbeitgeber und eines Hartz 4-Modells, am Ausländerfokus mit der Angstmache, an der Überwachung und einer Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte. Die Autorin merkte noch an, dass sich WählerInnen von der Partei, die diese wählen, erwarten, dass nicht nur das eine oder andere Problem angegangen wird, sondern auch zu bekommen, was vor der Wahl versprochen wurde. Daniela Kickl ergänzte, dass sich WählerInnen auf Botschaften im Wahlkampf durchaus verlassen, es daher nicht besonders schwierig ist, sich mit einfachen Parolen zu positionieren und in Wahrheit in einem von den meisten WählerInnen nicht gelesenen Parteiprogramm etwas Gegensätzliches festzuschreiben. Darüber hinaus könnte sich die Autorin grundsätzlich vorstellen, sich am politischen Geschehen aktiv zu beteiligen, gegen ihren Cousin in den politischen Ring zu steigen und die WählerInnen der FPÖ von Alternativen zu überzeugen.

Bernd-Christian Funk analysierte, ob die Aussage des FPÖ-Innenministers in der ORF-Sendung Report die Ziele und die Arbeitsweise des Rechtssystems, im Besonderen des Verfassungsrechts verkennt. Herbert Kickl glaubt, „dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“. Verfassungsrechtliche Garantien sind höchstrangige Normen, die die Wirksamkeit des Rechtsstaates sicherstellen und gewährleisten, dass sich Politik im Rahmen des Rechtes entwickelt. Die von Herbert Kickl ausgegebene Parole würde zur Wiederkehr vor- oder unrechtsstaatlicher Verhältnisse führen, verfassungskritische Aussagen eines Bundesministers werden allerdings problematisch, wo eine Durchsetzung politischer Ziele nötigenfalls auch unter Missachtung rechtlicher Bindungen angedacht oder in Aussicht gestellt wird.

Da es sich jedoch bei der Verfassung oder Menschenrechten nicht um antiquierte Regelwerke handelt, sind die Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen sowie eine Bedrohung der Verfassung abzuwenden. Die Angelobung auf die Einhaltung der Verfassung und Gesetze schließt nicht aus, dass Regierungsmitglieder Kritik an bestehenden Gesetzen äußern und Änderungen propagieren, dies steht unter dem Vorbehalt einer verfassungs- und gesetzeskonformen Vorgehensweise. Sollte der Eindruck entstehen, dass ein Bundesminister Auffassungen vertritt, die nicht mit der Verfassung vereinbar sind, obliegt es dem Bundespräsidenten, der gleichsam auf die Einhaltung der Verfassung und Gesetze angelobt ist, die Einhaltung des Rechts dort einzumahnen, wo sich Fehlentwicklungen abzeichnen.

Laut dem Verfassungsrechtsexperten ist eine Sicherungshaft nicht nur bedenklich, sondern würde sämtliche Grundsätze, auf denen das Rechtssystem beruht, auf den Kopf stellen. Diese Maßnahmen würden einen staatlichen Eingriff bedeuten, der auf einer Prognose beruht, jemand könnte vielleicht eine Straftat begehen oder gefährlich sein, ohne dass zuvor eine strafbare Handlung gesetzt wurde oder es ein Gerichtsverfahren gibt. Die Sicherungshaft wäre eine völlig neue Form von Freiheitsentzug, wobei Österreich der einzige Staat in der Europäischen Union mit dieser Regelung wäre. Man müsste konsequenterweise auch das Legalitätsprinzip, die geltenden Grundrechtsdokumente, die Instrumente des Rechtsschutzes und der Kontrolle, die Ministerverantwortlichkeit und die Zugehörigkeit Österreichs zu den demokratischen Verfassungsstaaten über Bord werfen.

Der Jurist erörterte, dass die präventive Haft einer richterlichen Kontrolle unterliegen müsste und gesetzlich klar festgelegt werden müsste, unter welchen Umständen, etwa die Gefahr schwerer und nicht nur leichter, die präventive Haft ausgesprochen werden darf. Ohne Verurteilung darf man niemanden dauerhaft in Haft halten, eine Dauerinternierung würde überdies noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Freiheitsentzug verstoßen. Sollte die zusätzliche Form der Haft per Verfassungsgesetz eingeführt werden, falls die SPÖ oder die Neos doch noch ÖVP und FPÖ zur erforderlichen Mehrheit im Nationalrat verhelfen sollten, wäre dies gangbar, aber höchst problematisch. Zu klären wäre, ob das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof, da in Österreich die Europäische Menschenrechtskonvention im Verfassungsrang steht, hält. Das verbriefte Recht auf Freiheit und Sicherheit sieht präventiven Freiheitsentzug nicht vor, es besteht die Möglichkeit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder der Europäische Gerichtshof die Sicherungshaft kippen.

Hannes Tretter forderte, dass Herbert Kickl anstelle seiner fundamentalen Kritik an der Europäischen Menschenrechtskonvention sagen sollte, wodurch er die Gesetzgebung bei Problemen der Migration zu stark eingeschränkt sieht, um anhand der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu sehen, was möglich ist. Bei einer genaueren Betrachtung von EGMR-Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen ist festzustellen, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits entschieden hat. Es ist jedoch rechtlich falsch und demagogisch zu suggerieren, dass die Grundrechte den Plänen der türkisblauen Bundesregierung entgegenstehen würden.

Bestehende oder künftig zu schaffende rechtliche Spielräume finden allerdings ihre Grenzen an grundrechtlichen Garantien, die nicht zur Disposition legislativer oder interpretativer Veränderungen stehen. Herbert Kickl ruderte nach öffentlicher Kritik auf Facebook zurück, dass er „zu keinem Zeitpunkt“ die Europäische Menschenrechtskonvention „oder die Menschenrechte als solche infrage gestellt“ habe, aber sprach in einer Anspielung auf die Europäische Menschenrechtskonvention von „seltsamen rechtlichen Konstruktionen“, die den Staat behindern würden. Die Grundrechte zur Disposition zu stellen, würde bedeuten, die Grundlagen des Rechtsstaates und damit auch die Demokratie infrage zu stellen und zu gefährden, von Harmlosigkeit wäre im Konnex mit den Menschenrechten keine Rede mehr.

In ihrem Wahlprogramm zur Nationalratswahl 2017 schrieb die FPÖ von einer „Evaluierung der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegebenenfalls Ersatz durch eine ‚Österreichische Menschenrechtskonvention‘, die auch das Heimatrecht der Österreicher schützt“. Man könnte meinen, Herbert Kickl formulierte nur eine jahrelange programmatische Forderung, aber die FPÖ betreibt mit dem systematischen Kratzen an Menschen- und Grundrechten ein bestimmtes Ansinnen. Im „Handbuch freiheitlicher Politik“ beklagt die FPÖ beispieslweise, dass Bürgerrechte ausgehöhlt werden, „wobei dieser Vorgang auch teilweise sinnverkehrt durch die Menschenrechtskonvention“ und die EU-Grundrechtscharta verstärkt wird“. Man könnte bei Herbert Kickl etwa der Annahme folgen, dass die Hinterfragung des rechtsstaatlichen Prinzips und der Menschenrechte weder seiner Position als Innenminister noch der aktuellen Debatte um die mögliche Abschiebung von straffällig gewordenen Asylwerbern geschuldet ist.

Die Menschenrechte und die Verfassung waren und sind seit jeher in einer Entwicklungsdynamik in Reaktion auf und zur Anpassung an gesellschaftliche und politische Verhältnisse begriffen, diese Dynamik wird durch die Auslegungspraxis der zuständigen Gerichte getragen. Bei einer Diskussion, wie man mit straffällig gewordenen Asylwerbern umgeht, ist zu beachten, ob es möglich ist, Ausländer in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, Aufenthaltsorte festzulegen oder den Besuch bestimmter öffentlicher Orte zu untersagen, ob eine kurzfristige Anhaltung denkbar ist, um die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens, etwa eines Asylverfahrens, zu erleichtern oder zu beschränken und ob die Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre, um bestimmte Personen von einer kriminellen Szene fernzuhalten, keine Verletzung des Rechtes auf Freizügigkeit darstellt.

Es geht immer darum, eine Balance zwischen dem Schutz öffentlicher Interessen wie der Sicherheit und dem Schutz der Rechte und Freiheiten Einzelner zu finden. Einigkeit besteht darin, dass unabhängige Gerichte, freie Meinungsäußerung oder die Garantie für jede und jeden, sich frei bewegen zu können, und historische Erfolge der Menschenrechtskonvention, wobei die Menschenrechte das konkrete Ergebnis von vielen Jahren Humanismus und Aufklärung sind, unbestritten sein müssen.

 

Abschließend ist zu bemerken, dass nicht nur in Leitartikeln und Kommentaren am FPÖ-Innenminister scharfe Kritik geübt wurde und in einem gemeinsamen Schreiben zahlreicher AutorInnen und Kulturschaffender unter dem Titel „Kickl muss gehen“ der sofortige Rücktritt von Herbert Kickl gefordert wurde, sondern sich auch der BSA klar zur aktuellen Diskussion zum Thema Schutzhaft positionierte, einerseits durch BSA-Präsident Andreas Mailath-Pokorny, der die Schutzhaft als eine Methode eines autoritären Regimes bezeichnete,  andererseits durch die Stellungnahme der sozialdemokratischen JuristInnen im BSA, beides ist unter https://www.bsa.at/schutzhaft nachzulesen.

 

Nach der Beantwortung vieler Fragen aus dem Publikum, wobei sich eine Wortmeldung auch auf die aktuelle Gesetzeslage in Bayern bezog, wurde die fundierte, kontroverse, pointierte Diskussion mit dem für alle Parteien und Politiker wie Herbert Kickl oder Hans-Peter Doskozil zutreffenden Appell des Bayerischen Kabarettisten Maximilian Schafroth geschlossen: „Ob man gute Politik macht oder nicht, das merkt man ganz leicht, indem man sich fragt, ob man sich wohlfühlt, der/die Betroffene den eigenen Politik zu sein. Bleibt beim Miteinander, verliert die Empathie nicht und vergesst auch auf die kleinen Leute nicht.“

 

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