Brexit - Im Gespräch mit Stefan Brocza, Otmar Höll, Gabriele Matzner-Holzer, Colin Munro und Melanie Sully

Vorwärts zurück oder Vorwärts in die Zukunft?
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Mittwoch,
27
.3.
2019
18.30 Uhr

BSA-Generalsekretariat

1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16, 3. Stock

Dr. Stefan Brocza (Experte für Europarecht und internationale Beziehungen an der Universität Wien)

Univ.-Prof. Dr. Otmar Höll (ehemaliger Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik und Politologe mit den Forschungsschwerpunkten Österreichische Außen- und Sicherheitspolitk, Europäische Integration, internationale Entwicklungs- und Umweltpolitik, Globalisierung, Politische Psychologie)

Dr.in Gabriele Matzner-Holzer (Juristin, Buchautorin und Botschafterin i.R. der Republik Österreich, zuletzt im Vereinigten Königreich)

MMag. Colin Munro (Chairman of UK Citizens in Austria und Botschafter i.R. des Vereinigten Königreichs, zuletzt bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit OSZE in Wien)

Dr.in Melanie Sully (britische Politologin und Direktorin des Instituts für Go-Governance)

Im Beatles-Song „Hello Goodbye“ heißt es: You say „Yes“, I say „No“. You say „Stop“ and I say „Go, go, go“. Oh no. You say „Goodbye“ and I say „Hello, hello, hello“. I don't know why you say „Goodbye“, I say „Hello, hello, hello“. 33 Monate nach jenem EU-Referendum vom 23. Juni 2016, bei dem knapp 52 Prozent der britischen WählerInnen für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, soll Großbritannien zwei Jahre nach der Auslösung des Artikels 50 der EU-Verträge nach 46 Jahren Mitgliedschaft am 29. März 2019 aus der EU austreten. „Früher war alles besser“, nationalistische und rechtspopulistische Parteien spielen derzeit besonders gerne mit dem Mythos der Vergangenheit. PolitikwissenschafterInnen konstatieren, dass die Kampagne der Brexiteers für den EU-Austritt auch erfolgreich war, da eine knappe Mehrheit die „alte Größe“ des Landes in der Vergangenheit stärker im Visier hatte, als an die Kraft der EU in der Zukunft zu glauben. Je größer die Herausforderung, desto mehr haben die politischen Illusionen Hochkonjunktur. Vielen Brexiteers dürfte nicht wichtig sein, dass die gefundene Souveränität politische und ökonomische Nachteile bringt. Einige wünschen sich keine zu engen Allianzen und die Zeit der „Splendid Isolation“ zurück, in der die globale Handelsmacht als Schiedsrichter in Konflikte eingreift. Das Austrittsvotum könnte als Ohrfeige für Eliten oder als Aufstand der englischen KleinbürgerInnen gegen das globalistische London und eine Regierung von wohlhabenden Tories, die dem Land einen Sparkurs verschrieben, gesehen werden. Großbritannien ist Mitglied des europäischen Binnenmarkts und der Zollunion, aber das Land hat es abgelehnt, den Euro als Währung einzuführen und sich in die passfreie Schengen-Zone zu begeben. Eine zukünftige Beziehung zur EU, wie sie entweder Norwegen als Mitglied des Binnenmarktes oder Kanada mit einem Freihandelsabkommen haben, oder kein Abkommen, alle drei Modelle kosten laut Berechnungen mehr als eine EU-Mitgliedschaft. Bisher hatte Großbritannien die Chance, die EU in ihrem Sinne mitzugestalten, künftig wird nicht mehr mitentschieden, wenn sich die EU neue Regeln, Aufgaben, Pflichten und Verantwortlichkeiten gibt. Beim „No-Deal“-Szenario würden Handelsbarrieren nach Regeln der Welthandelsorganisation WTO errichtet werden, nach deren Inkrafttreten könnte Großbritannien versuchen, Freihandelsabkommen mit anderen Staaten zu schließen. Der „Backstop“ sieht vor, dass Großbritannien bis zur Einigung über die künftigen Handlungsbeziehungen mit der EU in der Zollunion verbleibt, darüber hinaus Nordirland gewisse Regeln des gemeinsamen Binnenmarktes befolgen müsste, und dient dazu dass die im Karfreitagsabkommen, welches den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, vereinbarten offenen Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland auch nach dem EU-Austritt Großbritanniens bestehen bleiben. Für die EU bleibt die Herausforderung, dass Brüssel, welches beim Brexit stellvertretend für London abgestraft wurde, nicht als übergeordnete Stelle, sondern als gesammelte Macht aller Mitgliedsstaaten verstanden wird.

 

Gemeinsam mit unseren Gästen möchten wir einige Fragestellungen vertiefen: Welchen politischen Preis wird Großbritannien neben dem wirtschaftlichen Schaden für den Brexit bezahlen? Warum sind die regierenden Tories noch immer nicht zu einer gemeinsamen Position in der Brexit-Frage gekommen? Wird Theresa May nach ihrer historischen Niederlage bei der Abstimmung über den Scheidungsvertrag im House of Commons einen gemeinsamen Nenner finden? Wird die Premierministerin jene, die einen Hard Brexit oder keinen EU-Austritt wollen, von einem sanften Brexit-Deal doch noch überzeugen? Wird es in Großbritannien zu Neuwahlen kommen? Könnte dann Jeremy Corbyn in Downing Street Nr. 10 einziehen? Will die Labour Party im Gegensatz zu ihrem EU-skeptischen Vorsitzenden den Brexit stoppen? Warum wird es kein neues Brexit-Referendum geben? Ist das „People’s Vote“, ein zweites Referendum eine Lösung? Wer würde dieses beschließen? Ist das nicht bindende Ergebnis des ersten Referendums im Sinne von „Brexit means Brexit“ unumstößlich oder wird der EU-Austritt vielleicht doch abgesagt? Sind die WählerInnen in der EU-Frage weiterhin ungefähr zur Hälfte in Leavers und Remainers gespalten? Warum sind die EU-BefürworterInnen oft nicht so leidenschaftlich wie die EU-GegnerInnen? Warum meinen in England viele, dass die anhaltende Ungewissheit an der Verhandlungstaktik der EU liegt? Warum sind nicht nur erzkonservative Tories, sondern auch viele Labour-WählerInnen in Arbeiterhochburgen früherer Schwerindustriestädte für den Brexit? Wie wirkt sich der EU-Austritt auf die Bevölkerung aus? Wie können die Interessen der Menschen, etwa mehr soziale Gerechtigkeit, keine weitere Privatisierung, Erhalt des nationalen Gesundheitssystems, gewahrt werden? Fehlte das proeuropäische Narrativ und eine starke politische Persönlichkeit, die dafür gekämpft hätte? Wann werden die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach der Übergangsphase bis 31. Dezember 2020 im Detail fertig ausgehandelt sein? Kann durch den de facto Verbleib während dieser Zeit im Binnenmarkt und in der Zollunion nicht nur der freie Fluss von Menschen, Waren, Kapital und Diensten bestehen bleiben, sondern auch sichergestellt werden, dass die Wirtschaft genug Zeit hat, sich auf die Zeit danach einzustellen? Bleibt Großbritannien doch im Binnenmarkt und in der Zollunion oder verabschiedet es sich gänzlich? Was passiert an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland? Muss man nicht in der Zollunion und im Binnenmarkt bleiben, um die friktionsfreie Grenze zwischen Irland und Nordirland zu schützen? Können Zollposten an der Grenze zu Irland durch elektronische Kontrollen vermieden werden? Wie teilen sich die Abschlagszahlungen in Höhe von bis zu 44 Milliarden Euro auf? Wird Großbritannien bis 31. Dezember 2064 weitere Zahlungen an die EU leisten müssen? Wie bereitet sich die EU auf das Schlimmste vor? Wird das gemeinsame Europa gestärkt, wenn Großbritannien die EU verlässt oder geht es mit Skepsis sowie Rückschlägen weiter?

Aus organisatorischen Gründen wird höflich um Anmeldung(en) per Mail unter doebling@bsa.at gebeten.