130 Jahre Sozialdemokratie: Erneuerung, um gestärkt wiederzukommen - Im Gespräch mit Harald Katzmair, Reinhard Heinisch, Ferdinand Lacina, Eva Linsinger und Wolfgang Petritsch

Welche Strategien sind für die Zukunft einer progressiven Politik neu zu entwickeln?
Bildung, Kultur und Medien • Europa und Internationales • Innen- und Kommunalpolitik
Wien
BSA Döbling
BSA Alsergrund
BSA Donaustadt
BSA Rudolfsheim-Fünfhaus
BSA Simmering
Bundesfachgruppe Medienberufe im BSA
Gesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften
Vereinigung sozialdemokratischer Angehöriger in Gesundheits- und Sozialberufen
Vereinigung Sozialdemokratischer Universitäts- und FachhochschullehrerInnen
Donnerstag,
17
.1.
2019
18.30 Uhr

BSA-Generalsekretariat

1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16, 3. Stock

Dr. Harald Katzmair (Philosoph, Netzwerk- und Resilienzfoscher sowie Direktor von FAS.research)

Univ.-Prof. Dr. Reinhard Heinisch (Politologe und Leiter des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg)

Dr. Ferdinand Lacina (ehemaliger Bundesminister für Finanzen)

Mag.a Eva Linsinger (Journalistin und Leiterin des Ressorts Innenpolitik beim Nachrichtenmagazin Profil)

Dr. Wolfgang Petritsch (Präsident der Austrian Marshallplan Foundation sowie ehemaliger Botschafter, UNO-Sonderengesandter für den Kosovo und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina)

Auf dem Hainfelder Parteitag 1888/1889 vereinigte der Arzt Victor Adler die verschiedenen sozialdemokratischen Gruppen und gilt damit als Begründer dieser neuen Partei. Er wurde zum ersten Vorsitzenden der SDAP, aus der die heutige SPÖ hervorging, gewählt. 130 Jahre später ist mit Pamela Rendi-Wagner wieder eine Ärztin und erstmals eine Frau Parteivorsitzende der SPÖ. Über viele Generationen sozialdemokratischer Politik ist es die zentrale Aufgabe, die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität auf die aktuellen Herausforderungen anzuwenden, fest auf dem Fundament dieser Werte zu stehen, ohne dabei Dogmen zu bewahren. Mitunter wird jener sozialdemokratische Wertekanon als Utopie und Sozialromantik abgetan, als überholte Ideologie. Österreich hat trotz Finanz- und Wirtschaftskrise ökonomisch exzellente Zahlen vorzuweisen. Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sind auf Rekordniveau, die Staatsverschuldung geht, gemessen am BIP, zurück. Viele Menschen leiden aber unter einem immensen Anpassungsdruck an Veränderungen, die selbst die Folgen der industriellen Revolution in den Schatten stellen. Diese Umbrüche haben zur Auflösung traditioneller Milieus, Lebensmodelle sowie zum Ende alter Sicherheiten geführt. Die Migrationsfrage hat Europa nach rechts gerückt, politische Positionen wurden in der öffentlichen Debatte nur mehr anhand dieser Thematik verortet. Der Zukunftsdiskurs wurde auf diese Fragestellung reduziert, dadurch wurden die soziale Frage oder die Herausforderungen der Gesellschaftspolitik ausgeblendet. In diesem Umfeld erlitten sozialdemokratische Parteien schwere Niederlagen, in Österreich ging darüber der erste Platz verloren, immerhin wurden aber Stimmen und Wähleranteile im Gegensatz zu fast allen anderen sozialdemokratischen Parteien dazu gewonnen. Auch Österreich erlebt eine großflächige Verschiebung der Wählermilieus, seit zwanzig Jahren wählen etwa mehr Arbeiter die FPÖ als die SPÖ, die allerdings viele Wähler aus dem Bereich der Mittelschichten, der Angestellten und der Selbstständigen gewonnen hat und jene Partei ist, die sich bedingungslos für Arbeitnehmerinteressen einsetzt. Die Antwort der Sozialdemokratie auf historische Brüche war immer eine konkrete, gestalterische. Mehr oder weniger war die Gesellschaft alle zehn Jahre mit einer Zäsur konfrontiert, wobei die Sozialdemokratie erfolgreich war, wenn es ihr gelungen ist, diese Brüche zu meistern. Jene Erfolgsgeschichte des sozialdemokratischen Umgangs mit Umbrüchen beginnt spätestens ab den 1990er-Jahren zu bröckeln, mit dem „Dritten Weg“ verfolgte die Sozialdemokratie ein Konzept, um die Marktkräfte zum Nutzen der Mehrheit zu entfesseln, Ergebnis dieser Politik war in einem hohen Maße auch eine Unterwerfung unter die Dominanz des Marktes und damit auch seiner Krisen. Durch die spürbaren Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden die Mittelschichten von Abstiegsängsten erfasst, der Rechtspopulismus nutzte diese Entwicklungen, indem Migration als scheinbare Erklärung für alle Frustration und alle Ängste missbraucht wurde. Das eigentliche Thema war umgekehrt worden, aus der sozialen Frage als eine Folge einer Finanz- und Wirtschaftskrise wurde eine Krise der nationalen Identität gemacht. Das führte dazu, dass ein Projekt der Antimoderne immer mehr politischen Raum gewinnt und sich die Antimoderne trotz ihrer antielitären Parolen den Eliten-Interessen fügt. Dieses Projekt der Antimoderne fällt in eine Zeit neuer gesellschaftlicher Umbrüche die mit dem digitalen Umbau der Gesellschaft zusammenhängen. Wenn die Sozialdemokratie dem Projekt der Antimoderne etwas entgegenstellen möchte, dann wird sie sich nicht verweigernd gegen Veränderungen stellen dürfen, sondern gestaltend an deren Spitze. Die Entwicklungen unter den Bedingungen von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel haben enorme politische Auswirkungen. Wenn keine sozialdemokratischen Antworten auf diese Entwicklungen gefunden und diese nicht aktiv gestaltet werden, dann führt dies zu einer großen Umverteilung von unten nach oben und damit zur Unterminierung der Stabilität der Gesellschaft. Eine progressive Strategie dagegen braucht als unverrückbares Fundament das Ziel sozialer Gerechtigkeit, eine Politik, welche die Mitte nicht aufgibt, die Gerechtigkeit und Innovation verbindet, die Chancen nützt und die Schutz gibt, um Gesellschaft und Wirtschaft stärker und erfolgreicher zu machen. Die Verbindung von Gerechtigkeit, Innovation und ein in sozialdemokratischen Grundwerten verankertes Modernisierungsprogramm macht das Ziel der Erneuerung möglich, um auch als SPÖ wieder gestärkt zurückzukommen.

Mit unseren Gästen möchten wir verschiedenste Fragestellungen gemeinsam vertiefen: Ist die historische Mission der Sozialdemokratie verbraucht? Wie kann es vielmehr der Sozialdemokratie in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel gelingen, sich angesichts der Umbrüche erfolgreich an die Spitze der gesellschaftlichen Entwicklung zu stellen? Verlangen die großen Fragen dieser Zeit nach progressiven Antworten? Wie lässt sich die Digitalisierung gestalten, dass die Menschen mitkommen? Wie lässt sich die Globalisierung gestalten, dass diese sozial gerecht ist? Wie lässt sich der Ungleichheit, dem Auseinanderdriften von Vermögen und Einkommen begegnen? Wie lässt sich der Klimawandel bekämpfen? Wie kann progressive Politik einen Umbau des Steuersystems und des Sozialstaates einfordern? Wie kann das Ziel einer signifikanten Entlastung von Arbeitseinkommen, stattdessen eine Besteuerung von Ressourcenverbrauch, Wertschöpfung oder Vermögen, erreicht werden? Wie kann progressive Politik fairen Wettbewerb, von dem Mittelstand und Konsumenten profitieren, stärken und der enormen Machtkonzentration mit demokratiezersetzenden Potenzial einiger weniger Großkonzerne wie Facebook Google oder Amazon sowie einer aggressiven Steuervermeidung Grenzen setzen? Wie kann die Sozialdemokratie den Wohlstand fair verteilen? Wie kann progressive Politik die sozialen Folgekosten der Ungleichheit bekämpfen und dafür sorgen, dass Lebenserwartung und Bildungschancen nicht vom sozialen Status abhängen, dass Frauen nicht nur gleiche Rechte wie Männer bekommen, sondern für gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden? Wie können soziale und öffentliche Sicherheit als Einheit gedacht werden? Wie kann progressive Politik dafür sorgen, dass ein starker Staat insbesondere auch die Interessen der Schwachen schützt, nicht nur vor Verbrechen, sondern auch davor, dass etwa Alter, Krankheit, Trennung oder Arbeitslosigkeit zu existenzbedrohenden Krisen werden? Wie kann progressive Politik den Kampf gegen den Klimawandel aufnehmen und für die Erhaltung der Lebensgrundlagen auftreten? Wie kann die Sozialdemokratie die gestalterische Chance nutzen, dass der Zugang zu gesunden Lebensmitteln keine Frage des Einkommens ist? Wie kann progressive Politik, angesichts von Handel und Export als Grundlagen für den Wohlfahrtsstaat in Zeiten der Globalisierung, gerechte Handlungsabkommen gestalten, in deren Rahmen es keine Sonderrechte für internationale Großkonzerne gibt sowie hohe Sozial- und Umweltstandards durchgesetzt werden? Wie kann eine internationale Bewegung wie die Sozialdemokratie die europäische Integration stärken und das Europa der Märkte in ein Europa der Menschen verwandeln? Wie kann progressive Politik eine Sozialpolitik, die Sozialdumping verhindert und Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft, eine gemeinsame Steuerpolitik in Europa, die Schlupflöcher schließt, eine Fiskalpolitik, die Investitionen in die Zukunft ermöglicht, erkämpfen? Kann man das Wirkliche erst erkennen, wenn man das Mögliche überblickt? Müssen SozialdemokratInnen ihre Ideale und Ziele in ein Spannungsverhältnis zur Realität setzen sowie „bewusst die Zukunft und das Mögliche“ pflegen? Ist für jene große realpolitische Wirksamkeit sozialdemokratischer Utopien die erfolgreiche Geschichte der Arbeiterbewegung der beste Beweis? Wie kann die Sozialdemokratie einer breiten Schicht der Bevölkerung die Zukunftsperspektive einer sozialen, gerechten, modernen Gesellschaft bieten? Wie kann die SPÖ angesichts der immer stärker werdenden Individualisierung verständlich machen, warum die Werte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität verteidigt werden müssen? Wie kann die SPÖ mit ihrem Wertekanon und ihrer Programmatik die Probleme der Gegenwart und Zukunft meistern? Was ist die Aufgabe der Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?

Aus organisatorischen Gründen wird höflich um Anmeldung(en) per Mail unter doebling@bsa.at gebeten.